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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Beleuchtung geschlichen und beobachtet den
schlanken, jungen Mann rechts auf der Bühne. Ein gepflegter
Dreitagebart umrahmt sein ovales Gesicht. Er hat schwarze Haare,
die straff nach hinten gekämmt sind. Seine Hände haben
auffällig langgliedrige Finger, mit denen er eine zirka 50
Zentimeter große Marionette an einem Doppelkreuz durch die
noch unfertige Kulisse führt.
    Der Kopf der Holzpuppe
wurde mit wenigen, groben Schnitten modelliert. Die hängenden
Augen und die spitze Nasenform verleihen dem länglich-spitzen
Gesicht die Züge einer Ratte. Eine weiße
Zipfelmütze fällt ihm weit über die Ohren. Die
Figur, die an sieben Fäden hängt, ist in einen braunen
Schlafrock gekleidet und schleppt sich mühsam über die
Bühne.
    »Frau Anken,
mich hungert«, lässt der Puppenspieler die Marionette
mit piepsender Stimme jammern. »So hören Sie doch, Frau
Anken!«
    Das Marionettenkreuz
liegt locker in seiner rechten Hand. Wie beiläufig spannt eine
kleine Bewegung des Zeigefingers einen Faden der Aufschnürung.
Die Rattenpuppe hebt drohend den Arm.
    »Hexe,
verfluchte, da treibt sich doch jemand vor meiner Haustür
herum. Das ist bestimmt der Knabe meiner Schwester. Er will sich
meinen goldenen Becher holen, mich bestehlen, meine Schätze
wegschleppen.«
    Ronja Ahrendt erkennt
sofort die dramatische Schlussszene aus dem Märchen
›Bulemanns Haus‹ von Storm und klatscht vor
Begeisterung in die Hände. Die Puppe sackt mitten in der
Bewegung in sich zusammen, hängt schlaff in den Fäden.
Der Puppenspieler blickt erstaunt in den Raum. Jetzt kann sich die
Krankenschwester nicht mehr abseits halten und eilt direkt vor die
Bühne.
    »Sie spielen
einfach großartig!«, ruft sie verzückt, wobei ihre
Stimme sich fast überschlägt. »Ich freue mich schon
so sehr auf Ihre Aufführungen, Herr Pohlenz! Sie sind doch
Peter Pohlenz, oder?«
    »Woher kennt das
junge Ding deinen Namen?«, fragt die Puppe, während sie
sich langsam wieder aufrichtet. Der Rattenmann wackelt dabei sanft
mit dem Kopf und schaut zu seinem Spieler hinauf. Die Augen von
Ronja Ahrendt leuchten, sie fühlt sich wie die kleine Alice,
die unverhofft ins Wunderland geraten ist.
    »Seit wann
interessierst du dich für schöne Damen, du geizige, alte
Ratte?«, fragt der Puppenspieler hinab.
    »Niemand redet
zu mir in diesem unverschämten Ton«, knurrt der
Rattenmann hinauf. »Werde doch erst einmal erwachsen, anstatt
hier mit Puppen zu spielen. Und außerdem befindest du dich
hier in meinem Haus, in Bulemanns Haus!«
    Der Rattenmann geht
bis an den Bühnenrand, beugt sich etwas vor und schaut auf
Ronja Ahrendt herab.
    »Sind Sie etwa
wegen dem da oben gekommen?«, fragt der
Rattenmann.
    »Ja, mein
Lieber!«, schmeichelt die Krankenschwester, indem sie das
Spiel des Puppenspielers mitmacht. »Ich bin Ronja Ahrendt und
soll dich und den Chef vom Seelenfaden-Puppentheater während
eurer Vorstellungen betreuen.«
    »Ronja Ahrendt!
Ich freue mich außerordentlich«, piepst der Rattenmann
und macht für eine Holzfigur eine formvollendete
Verbeugung.
    »Wollen Sie etwa
unverfroren mit mir herumflirten?«, kokettiert Ronja und
zieht demonstrativ die linke Augenbraue hoch, während sie dem
Puppenspieler unverhohlen in die Augen schaut. Der lässt die
Marionette auf den Boden sinken, kniet sich galant an den
Bühnenrand und hält ihrem Blick mühelos
stand.
    »Was glauben Sie
denn? Selbstverständlich flirte ich mit Ihnen rum«,
turtelt er mit sanfter Stimme. »Welcher fahrende
Komödiant könnte bei einem so schönen Gesicht wohl
widerstehen?«

2
    Hauptkommissar Jan
Swensen macht einen ausholenden Schritt über die zerbrochenen
Glasstückchen, die vor der geöffneten Schiebetür auf
dem Parkettboden liegen, und geht auf die Terrasse hinaus. Mit
geschultem Blick untersucht er das Loch im Glas der
Schiebetür, das mit einem Glasschneider direkt neben der
Türklinke herausgeschnitten und nach innen gedrückt
wurde. Danach schaut er sich draußen um. Die Terrasse ist mit
Natursteinplatten ausgelegt. Über der Fensterfront ist ein
Bewegungsmelder installiert, es scheint aber keine Alarmanlage zu
geben. Ein gepflegter Rasen erstreckt sich um die Villa herum. Der
wird von einer mannshohen, dichten Hecke umrahmt, die einen freien
Blick von der Straße auf die Terrasse verhindert. Die Fenster
rings ums Haus sind alle unversehrt, nichts deutet auf einen
Versuch, an anderer Stelle ins Innere zu gelangen.
    Der erste Eindruck am
Tatort, davon ist der Husumer Kommissar
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