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Pommes rot-weiß

Pommes rot-weiß

Titel: Pommes rot-weiß
Autoren: Christoph Güsken
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Tür hinter sich zu, dass es mir das Trommelfell umstülpte. Ohne sich umzudrehen, stampfte er in Richtung S-Bahn-Haltestelle, stolperte in einer Schiene und trat wütend gegen einen Erdklumpen, der sich als Stein entpuppte. Ein paar Sekunden tanzte er, den rechten Fuß in der Hand, auf einem Bein, dann humpelte er vorsichtig weiter.
    Plötzlich begann er zu rennen. Hinter ihm waren der Schöne und das Biest, Milanos perverse Leibwächter. Ich musste Henk zur Hilfe eilen. Dann wurde es Grün. Hinter mir hupte es ungeduldig. Es blieb mir nichts anderes übrig, als herumzukurven, bis ich einen Parkplatz gefunden hatte, und bis dahin brauchte Henk mich nicht mehr. Entweder war er tot oder hatte die Typen abgehängt.
    Trotzdem meldete sich erneut mein schlechtes Gewissen. Und das ließ nicht locker, bis ich am späten Nachmittag die Pathologie der Universitätsklinik betrat.
    Barbara Bonnecks Reich sah anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Keine endlosen, weiß gekachelten Korridore im kalten Licht brummender Neonröhren, keine riesigen Schrankwände mit beschrifteten Schubladen, in denen tote Körper lagen, mit einem Papierstreifen um den dicken Zeh, auf dem Eingangsdatum und Todesursache vermerkt waren. Stattdessen gab es feingerahmte Grafiken an den Wänden der Gänge, die mit hellgrünem PVC gepflastert waren, Computerbildschirme flimmerten und es roch nach einer Mischung aus Pinselreiniger und Kaffee. Wer hier dem Tod begegnen wollte, musste vorher im Dienstplan nachsehen, ob er an dem Tag überhaupt eingeteilt war.
    Babsi trug auch keinen Papierstreifen um den dicken Zeh. Sie hatte weiße Slipper an den Füßen, die in einer schwarzen Nylonstrumpfhose steckten, trug einen schwarzen Rock und über allem einen weißen Kittel, den sie nicht zugeknöpft hatte. Als sie mich bemerkte, zog sie eine Braue hoch und begab sich in ihr Arbeitszimmer an den Schreibtisch.
    »Schön, dass du dich mal sehen lässt«, sagte sie zu dem Monitor.
    Ich räusperte mich. »Also, ich, eh…«
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
    Wie ein plötzlicher, kalter Windhauch ergriff mich für einen Augenblick die Vorstellung, dass wir beide schon über zehn Jahre verheiratet waren. Ich zögerte und überlegte, ob es nicht besser war, zu gehen. Vielleicht war Henk mit den Schlägertypen doch besser dran als mit ihr.
    Dann entschied ich, Babsi wenigstens eine Chance zu geben. »Henk ist in Schwierigkeiten«, sagte ich. »Er braucht dich.«
    Sie nahm den Blick nicht vom Bildschirm. »Ach ja?«
    Ich sah nicht ein, warum immer nur mir das schlechte Gewissen im Nacken saß. »Du hast sie ihm eingebrockt«, sagte ich vorwurfsvoll.
    »Hah!« Ihr Drehstuhl wirbelte herum. »Er selbst hat sie sich eingebrockt! Wer hat denn die Gangster-Tussi flachgelegt, er oder ich?«
    »Also, ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht genau, ob…«
    »Ach, komm schon, Kittel, natürlich hat er! Machen wir uns doch nichts vor! Wir beide sind doch…«
    »Ja, ja«, sagte ich.
    »Er hat eine Tussi gevögelt«, stellte Babsi noch einmal klar. »Und ich soll ihm jetzt den Arsch retten, ja?«
    Ich hasste Henk Voß dafür, dass ich in seinem Auftrag vor dieser Frau auf Knien herumrutschte, während er auf dem Neumarkt Räuber und Gendarm spielte. Mit einem einfachen Gefallen war das nicht mehr gutzumachen. Wenn alles überstanden war, würde ich ihn zur Kasse bitten…
    »Er will zu dir zurück«, erklärte ich ihr behutsam. »Noch mal neu anfangen.«
    »Neu anfangen, dass ich nicht lache!« Sie schlug sich auf die Schenkel. Allmählich beruhigte sie sich wieder, dann schenkte sie mir einen verträumten Blick. »Und was ist mit uns?«
    »Wir haben immer noch unsere Erinnerung«, sagte ich und versuchte, schwärmerisch und gleichzeitig endgültig auszusehen. »Wir haben diese Nacht und die kann uns niemand neh-«
    »Blödsinn!«, schnarrte sie. »Die ist doch längst vorbei.« Der Drehstuhl startete in meine Richtung. Jeder Zentimeter, den sie sich näherte, machte ihren Blick milder und weicher. »Außerdem hast du dich verdrückt, als es erst anfing, spannend zu werden.«
    »Aber das mit uns wäre doch nichts geworden, Babsi. Du und Henk…«
    Ihre Zungenspitze fuhr auf erregende Weise die Lippen entlang. »Was glaubst du, was er für ein Gesicht macht, wenn ich ihm das mit uns erzähle? Was hält er dann wohl von seinem besten Freund?«
    Barbara Bonneck war eine Schlange, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Sie hatte Reptilienaugen, kalt wie die Augen der
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