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Polt - die Klassiker in einem Band

Polt - die Klassiker in einem Band

Titel: Polt - die Klassiker in einem Band
Autoren: Haymon
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mit seinem Bacchanal, oder wie immer das heißt.“
    „Ah ja, ich hab davon gehört. Je gebildeter Männer sind, desto raffinierter und eindrucksvoller fallen die Ausreden für ihren Alkoholismus aus. Am Schluss steht immer ein banales Besäufnis und ein böses Erwachen. Und gestern waren wohl außer dem Wein noch andere Rauschmittel im Spiel. Einmal ist keinmal, mein Lieber. Doch ab sofort: Finger weg davon!“
    Polt nickte und sagte lieber nichts.
    Grete Hahn betrachtete ihn prüfend. „Ich geb dann erst einmal Ruhe. Kein Mann in Ihrem Zustand lässt sich gerne bemuttern. Nur eins: Ich bin vorhin zu Ihnen gekommen, weil ich Hilfe brauche. Warum, ist nicht so schnell erzählt. Und schon gar nicht auf der Straße. Könnten Sie mich heute Abend in meinem Haus besuchen? Es ist ernst, glauben Sie mir.“
    „Aber ich bin kein Gendarm mehr.“
    „Wenn mir einer helfen kann, dann der Simon Polt, und kein Gendarm.“
    „Also ich weiß nicht recht.“
    „Aber ich weiß es. Bitte!“
    Polt nickte. Er schaute Grete Hahn eine Weile nach und setzte dann den Spaziergang fort. Gestern hatte er einen großen Schritt zu viel getan. Fortan wollte er sich wieder an viele kleine Schritte halten.
    Es war schon dunkel, als er zu Grete Hahns kleinem Haus kam. Sie hatte ihn durchs Fenster gesehen und stand in der offenen Tür. „Nur herein, mein Lieber. In meiner Küche waren Sie schon immer gut aufgehoben, nicht wahr?“
    „Ja, schon.“
    „Kaffee? Oder ein vorsichtiges Bier?“
    „Wasser bitte.“
    „Auch gut.“ Sie setzte sich ihm gegenüber. „Jetzt einmal ehrlich, und Sie kennen mich gut und lange: Bin ich eine, die sich leicht erschrecken lässt?“
    „Da käm sogar der Teufel in Verlegenheit, Frau Hahn.“
    „Stimmt. Und bin ich eine Ängstliche, die überall Bedrohungen und Gespenster sieht?“
    „Weiß Gott nicht.“
    „Lassen Sie den alten Herrn aus dem Spiel. Kann einem fast schon leidtun in seiner allmächtigen Ohnmacht.“ Sie öffnete eine Lade, holte ein kariertes Blatt hervor und schob es über den Tisch. „Können Sie damit etwas anfangen?“
    Erst einmal sah Polt viele tote aufs Papier geklebte Spinnen. Auf den zweiten Blick erkannte er, von den Insekten halb verdeckt, eine primitive Bleistiftzeichnung, in der man mit einiger Fantasie Grete Hahns Gesicht erkennen konnte.
    „Ich hab’s vor ein paar Monaten im Vorzimmer gefunden. Wohl unter der geschlossenen Tür durchgeschoben.“ Sie lächelte müde. „Ein paar Wochen war Ruhe. Dann ist im Garten eine nackte Puppe aus Plastik gelegen. Der Bauch war aufgeschnitten und aus der Öffnung ist rote Marmelade gequollen. Apart, nicht wahr? Ich hab’s weggeschmissen. Aber es ist noch besser gekommen. Ich wollt ein Unterhemd aus dem Kasten nehmen und … Augenblick, ich zeig’s Ihnen, bin gleich wieder da.“
    Polt erschrak: Das Hemd sah aus, als sei es mit einem scharfen Messer bearbeitet worden, und es war mit Unrat aller Art besudelt. Frau Hahn nahm es mit spitzen Fingern. „Es stinkt wie die Pest. Schnuppern Sie lieber nicht daran. Na ja, hab ich gedacht, ein Psychopath will mir etwas sagen. Wär ja nicht das erste Mal. Aber dann ist mir der Kerl immer näher gekommen. Zu nahe. Liebevoll irgendwie, mit roten Herzen. Eins war mit Stacheldraht um die Türschnalle gewickelt, eines war in die Klomuschel geklebt und eins ist in meinem Bett gelegen, gemeinsam mit einer toten Kröte. Und dann dieser Anruf, dumpfe Stimme, Taschentuch über dem Telefonhörer oder so. Ich komme bald einmal persönlich, hat er gekeucht, und dann werd ich’s endlich einmal lustig haben. Das war gestern Abend, Herr Polt. In der Nacht war dann ein Geräusch am Schlafzimmerfenster. Plötzlich klirrt das Glas, etwas fällt dumpf auf den Boden und lacht. So ein Lachsack, wissen Sie? Ein Scherzartikel, nichts Gefährliches. Aber ich möchte nicht wissen, wie es weitergeht.“
    Polt war aufgestanden. „Wo liegt denn das Schlafzimmer? Zur Straße hin?“
    „Nein, zum Garten. Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen!“
    „Ich habe das Fenster mit Karton verschlossen, praktisch veranlagt, wie ich nun einmal bin.“ Grete Hahn kicherte, verstummte, zitterte unvermutet und hatte Tränen in den Augen. Polt trat auf sie zu und nahm sie an den Oberarmen. „Ruhig jetzt.“ Sie nickte, legte ihren Kopf auf seine Schulter und drückte sich an ihn. Er schob sie sanft von sich. Grete Hahn löste sich vollends, setzte sich auf die Bettkante und lehnte sich ein wenig zurück. „Und? Was jetzt, wenn wir
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