Polt - die Klassiker in einem Band
er vor Karin Walter stand, bemerkte er, daß sie vor Kälte zitterte.
„Hast du denn nie Dienstschluß, Simon?“
„Doch. Und wie.“
„Ich habe dich angerufen gestern, am Abend und dann die halbe Nacht lang, immer wieder. Auch in der Dienststelle habe ich es versucht. Ich bin dort an einen Herrn Neumann geraten. Hat mir gesagt, daß er über Beamte keine Auskünfte erteilt. Und jetzt bin ich da, seit einer Stunde.“
„Ja, Karin, wenn ich das gewußt hätte! Was ist mit dir? Was hast du mir sagen wollen?“
„Mir war so kalt, Simon, so grausam kalt, die ganze Zeit über, ohne dich.“
„Und jetzt ist dir wärmer?“
„Ja.“
Hausbesuche
Hausbesuche
Eine Kriminalgeschichte
Es war noch dunkel im Schlafzimmer, als Polt aufwachte. Sein Mund war trocken, sein Herz pochte unruhig. Er schaute zum Fenster hinüber und bemerkte missvergnügt ein frühes Morgengrauen. Er tastete nach der Bierflasche, die neben seinem Bett stand, trank, setzte ab, trank noch einmal. Na also, aufgewärmt, der Rausch von gestern. Polt drehte sich zur Seite und schloss die Augen. Er spürte, wie ein paar Engel der minderen Sorten zu ihm kamen, ihn zudeckten mit ihren dicken, weichen Leibern, und schlief ein.
Ein paar Stunden später konnte er den jungen Tag nicht länger verdrängen. Sein Kater Czernohorsky hatte es vorerst im Guten versucht und sich vernehmlich schnurrend auf dem Kopfpolster eingerollt. Als sein Mitbewohner und Ernährer einfach weiterschlief, erhob sich das Tier und zog mit spitzen Krallen Fäden aus dem Stoff. Endlich nahm der Kater Polts linkes Ohr zwischen die Zähne und setzte zu einem zartfühlenden, wenn auch unwirschen Biss an. Polt tat einen leisen Schmerzensschrei, Czernohorsky sprang leichtpfötig zu Boden und verharrte vor dem leeren Futternapf.
Seit Simon Polt vor wenigen Wochen seinen Dienst als Gendarm quittiert hatte, gönnte er sich, befreit von jeglicher Pflicht, ein Leben nach Lust und Laune. Irgendwann würde er sich schon wieder in eine gewisse Ordnung fügen, doch vorerst gab es keine Macht der Welt, die über ihn bestimmen konnte – ausgenommen ein hungriger Kater.
Nachdem der Napf gefüllt war, schlurfte Polt zum Waschbecken, erschrak ein wenig über sein Gesicht im Spiegel und wollte gerade mit viel kaltem Wasser die Dinge zum Besseren wenden, als Karin Walter anrief. Wie es ihm denn gehe, fragte sie, nein, er brauche nichts zu sagen, sie höre schon, was los sei. Ob’s wenigstens lustig war? Polt sagte, es sei überirdisch unterirdisch gewesen im Keller und fand das originell. Karin seufzte und wünschte ihm einen schönen Tag.
Ein schöner Tag? Aber ja, Frau Lehrerin! So gut das eben möglich war Ende November. Seit Wochen konnte niemand so recht sagen, ob dieses graue Nichts ringsum Nebel war, oder Gegend, oder Himmel. Nasskalt war es jedenfalls und es drang durch die Haut ins Hirn und ins Gemüt. Wen nahm es da Wunder, dass die Leute im Wiesbachtal, die Männer vor allem, ihr Heil unter der Erde suchten, in den Weinkellern, engen, matt und warm erleuchteten Höhlungen im mütterlichen Bauch der Erde. Hier waren ja auch die wirklich wichtigen Dinge im Leben ganz nahe: der Suff, der Rausch, der Tod und, beim Teufel, vielleicht sogar die Auferstehung.
Polt, erstaunt und beeindruckt von der unvermutet philosophischen Tiefe seiner Gedanken, beschloss, den Seufzer Karin Walters nicht allzu ernst zu nehmen, so sehr er sie auch liebte.
Am späten Vormittag betrat er die Gaststube des Kirchenwirtes. Sie war fast leer. Nur Frau Hahn saß da, las im Illustrierten Heimatblatt und hatte ein Glas Rotwein vor sich stehen. Sie lud Polt mit einer kleinen Handbewegung ein, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. „Simon Polt! Also auch hier gestrandet?“ Sie hob das Glas. „Blauer Portugieser – keine Wunderwaffe gegen dieses deprimierende Grau da draußen, aber doch wohltuend. Hab ich recht?“
Polt nickte, bestellte vorerst aber doch Kaffee.
Sie schaute ihm prüfend ins Gesicht. „War’s lustig, gestern Abend?“
„Ja, schon. Der Keller vom Sepp Räuschl und eine zu allem entschlossene Runde.“
„Ohne Ihre Karin, wie ich vermute.“
„Na klar, mit ihrem Beruf …“
„In den Lehrplan passt ein heiteres Besäufnis dieser Art natürlich nicht. Aber irgendwann muss doch auch für die geschätzte Pädagogin der Unterricht vorbei sein, und Sie haben die Schule ja schon eine Weile hinter sich, lieber Simon Polt, nicht wahr?“
„Klar. Aber für die Karin ist es halt unangenehm,
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