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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot
Autoren: Patrick Tschan
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mittlerweile wieder, hielt die Flasche in den Wind. Beim Übergang von der Straße auf den See hob das Gefährt leicht ab und den Engländer drückte es in die Sitzbank.
    „Great Jack, like Beerscheba, like Beerscheba, Darling, like Beerscheba, Beeeerscheeebaaaa!“
    So donnerte der edelste Schlitten des vornehmen Palace Hotel einsam durch die klirrend kalte Nacht über den gefrorenen St. Moritzersee, vorbei an Fähnchen, welche die Pferderennstrecke markierten, vorbei an unzähligen Tannen, die nahtlose schwarze Flächen bildeten, über denen die mondbeschienenen, weißen Gipfel von Piz Rosatsch, Mezdi und Corvatsch thronten, und vorbei an Gott, Gesetz und Teufel.
    Jack war es Jacke wie Hose, verlöre er eben auch noch seine Fuhrmannslizenz. Sein Gastspiel hier im Oberengadin würde sowieso morgen früh, spätestens morgen Nachmittag beendet sein. Da kam es auf diese Tollheit auch nicht mehr an.
    „Stopp, stopp, we did it, Jack, we did.“
    Jack zog an den Leinen, die Pferde wieherten, er drehte an der Spindelbremse, der Schnee stob, die Kutsche kam zum Stehen, der Engländer stieg aus, erklomm den Kutscherbock, küsste Jack links, rechts auf die Wange, ließ von ihm ab, wandte sich nochmals um, küsste ihn mitten auf den Mund, sprang vom Bock, stieg in die Kutsche, saugte sich fest an den Eiszapfennippeln seiner Begleiterin, ließ von ihr ab, stand auf, hielt triumphierend die Champagnerflasche in die Höhe, drehte sie um, kein Tropfen entwich, und schrie in die Nacht: „Mary, he brought me Beeeerscheeebaaaa back. Jack, your the greatest, du bringst mir Beeeerscheeebaaaa back.“
    Dann sank er auf die Sitzbank, seufzte kurz, gab Jack den Befehl nach „home“ zu fahren, zog die am Boden verstreuten Wolldecken über sich und bettete seinen Kopf auf Marys Schoß.
    Als sie im Grand Palace ankamen, schlief Walter John Montagu-Douglas-Scott, 8. Duke of Buccleuch, 10. Duke von Queensberry friedvoll mit dem Kopf auf Marys Schoß, die Champagnerflasche in der linken Hand fest umschlossen.
    Jack holte den Concierge, während Mary den Kopf von Walter John Montagu-Douglas-Scott von ihrem Schoß hob und anschließend versuchte, den ganzen 8. und 10. Duke mit beiden Armen und einem ansehnlichen Stoß ihres rechten Fußes in eine standesgemäße Sitzhaltung zu bugsieren. Doch der schlafende Duke drohte zu kippen, so dass sie sich schließlich quer auf die Sitzbank legte, beide Füße gegen den Duke stemmte und ihn so in Stellung hielt.
    Nun, es war kein ungewohnter Anblick, der sich Jack und dem Nachtconcierge bot. „Je blauer das Blut, desto blauer die Menschen“, pflegte der Concierge in solchen Situationen zu bemerken, tat es, trat zur Kutsche und versuchte den Duke zu wecken. Dessen Schlaf trotzte jedoch hartnäckig jeglichem Rütteln und Schütteln. Jack nahm eine Handvoll Schnee von der Treppe und rieb ihn dem Duke ins Gesicht, was Wirkung zeigte: Der Duke erwachte, vergegenwärtigte sich die Situation, stand auf, entstieg der Kutsche, schrie „Beerscheba“, salutierte vor Jack und dem Concierge, rutschte dabei aus und fiel der Länge nach hin.
    Sie hoben ihn auf, klopften ihm den Schnee von den Kleidern, der Concierge legte den rechten Arm des Dukes um seine Schulter, schleppte ihn durch die Hotelhalle zum Lift, nannte dem Liftboy die Etage, brachte den Duke sicher zu dessen Suite, öffnete die Tür und legte ihn sanft auf sein Bett, derweil Jack Mary aus der Kutsche half, diese sich bei ihm unterhakte, ihn auf die Wange küsste und ihm zuflüsterte: „You did etwas very, very Wichtig für him.“ Jack geleitete sie noch zur Suite, worauf sie ihn und den Concierge warten hieß, den Zimmersafe öffnete, Jack 150 und dem Concierge 20 Pfund Sterling in die Hand drückte, Jack nochmals auf die Wange küsste, „many, many thanks and: take it easy“ zuhauchte und die beiden zur Tür begleitete. Aus dem Schlafzimmer war noch ein letztes „Beerscheba“ zu vernehmen, gefolgt von einem lauten Klopfen und befehlenden „Silence, s’il vous plaît!“. Dann fiel die Zimmertür ins Schloss und noble Stille erfüllte die Gänge des Grand Palace.
    Auf dem Weg zum Lift unterdrückten die beiden jedes Wort. Als sich die Lifttüre hinter ihnen geschlossen hatte, schaute der Concierge Jack mit großen Augen an und fragte: „Hey, was hast du denn mit dem gemacht?“
    Jack faltete die drei 50-Pfund-Noten sorgfältig, steckte sie genüsslich in seine Hosentasche und lachte: „Einmal Jerusalem und wieder zurück.“ Nachdem Jack
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