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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot
Autoren: Patrick Tschan
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Hosenbein hochfährt, obwohl der Marito neben ihr sitzt, von dem hast du keine Ahnung. Vom Leben. Alles buio, Nebel, Bub. Also glaub oder geh!“
    Jack nahm sein Glas, tauchte seine Nase in das Bouquet des Weins und hob es gegen Vittorio: „Salute.“
    „Salute, Bub … Bub, habe auch noch zweite Flasche und noch eine Petrus 1900. Also, erzähl!“
    Jack pfiff leise durch die Zähne. „Also, die flüssigen Almosen der Spitzen der Gesellschaft landen fein säuberlich sortiert in den Dolcetto-Flaschen von Vittorio Capetta.“
    „Ist mir wurscht.“
    „Château Margaux und Château Petrus rinnen durch die Gesellschaftsschichten, von König zu Adel, von Adel zu Industriebaronen, von Industriebaronen zu reichen Bürgern, von reichen Bürgern zu Direktoren, von Direktoren zu Prokuristen, von Prokuristen zu Bürolisten, von Bürolisten zu Arbeitern und Bauern, bis sie ganz unten in den Flaschen des Sohnes eines besitzlosen Pachtbauern landen. Interessant, findest du nicht?“
    „Waren nicht besitzlos, Bub.“
    „Irgendwie gerecht.“
    „Irgendwie. Erzähl jetzt. Geschichte gegen Geschichte.“
    Jack nahm einen Schluck Wein, nahm Brot, nahm Grana Padano, nahm Wein, schnitt eine
    Scheibe Salami ab, nahm Wein, Grana Padano, Wein, Salami, Wein, Brot, Wein …
    „Porca miseria, jetzt erzähl, Bub!“
    Jack nahm einen großen Schluck, ließ den Wein jede Geschmackspore seines Mundes reizen, setzte das Glas ab und hob an: „Wie du siehst, sitze ich hier an deinem Ofen, nippe an einem der größten Weine der Welt statt an steifen Brustwarzen. Obwohl, es hat nicht viel gefehlt, ich war ganz nah dran.“
    Er nahm das Glas und beugte sich nach vorn. „Eigentlich hat gar nichts gefehlt. Ich hatte sie.“
    „War’s Russin, die Baronin?“
    „Nix Baronin, aber steinreich, Vittorio, so reich, wir hätten gleich das ganze Grand Palace gekauft.“
    Jack schlug die Hände vors Gesicht, fuhr langsam, die Finger mehr und mehr spreizend, dem Nasenrücken, der Nase, der Oberlippe entlang nach unten, bis er am Kinn ankam und seinen Kopf schließlich müde in die Handballen stützte.
    „Alles weg?“
    Jack nickte traurig.
    „Keine Chance, niente occasione mehr?“
    „Sie hat mich geohrfeigt.“
    „Geohrfeigt?“
    Jack nickte und streckte zwei Finger seiner rechten Hand hoch.
    „Pitsch, patsch?“
    „Pitsch, patsch!“
    „Ja, Bub, was hast du denn gemacht, porca miseria.“
    „Nichts, es ging alles gut, sie hat mir alles geglaubt.“
    „Auch kein miracolo, der Frack steht dir bellissimo, als ob für dich gekauft. Bist bel uomo, Bub, mit deinen blauen Augen, Kinngrube von echtem Mann und Nase wie kleiner Adler!“
    „Zimmer 257.“
    „Was, der Conte hat dir den Frack gegeben?“
    „Von der Reinigung, er muss erst übermorgen zurück sein.“
    „Bub, Bub, diese Charakter.“
    „Sie hat alles geglaubt, diese Charakter, Vittorio, alles geglaubt. Dass ich ein reicher Basler Bankierssohn sei, dass ich hier sei, um die Beziehungen unseres Hauses auszuweiten, dass ich Skiunterricht zum persönlichen Spaß und Zeitvertreib gebe, ein so guter Eistänzer sei, weil ich für die olympischen Spiele nächstes Jahr hier unter dem Gautschy trainiere, dass meine Familie Häuser in Rapallo, Nizza, Brighton, zwei Wohnungen in Paris und einen Landsitz bei Basel besäße, dass mein Bugatti 30 in Chur stehe, der 35er bald in Molsheim abgeholt werden könne und dass ich die Bank in etwa sieben Jahren übernehmen werde und somit noch genug Zeit verbliebe, die Jugend zu genießen.“
    „Sie hat geglaubt? Alles?“
    „Ich hab den Bugatti-Schlüssel wie zufällig aus dem Mantelsack fallen lassen.“
    „Bugatti-Schlüssel …“
    „Schlüssel: Suite 16, Mantel: Reinigung, Zimmer 312.“
    „Bub, diese Charakter, du gehst noch auf Galeere.“
    „Den Schlüssel habe ich dem Duke bereits in die Kitteltasche gesteckt, der Mantel muss sogar erst in drei Tagen von der Reinigung zurück sein. Vittorio, ich war perfekt!“
    „Pitsch, patsch.“
    „Ich habe so hart gearbeitet für diesen Abend, all die Kutschenfahrten mit gefrorener Nase, das Skifahren mit all den Engländern und Franzosen, die kein Gespür für Ski und Schnee haben, und die unzähligen Stunden auf dem Eis, um aus einer ungelenken Göre eine Eisprinzessin zu machen. Gut, die Bezahlung und vor allem die Trinkgelder waren gut, zum Teil sehr gut. Alles in einem Abend aufgelöst in Austern, Roederer Champagne …“
    „Gute Wahl, sind Russkis gewohnt. Oder waren es.“
    „… und
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