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Poison (German Edition)

Poison (German Edition)

Titel: Poison (German Edition)
Autoren: Wolfram Alster
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halbrunden Steinwänden, aber irgendwie scheint das Ganze ziemlich unwirklich, wie ein Traum.
    »Gleich mal ausprobieren«, denke ich, und versuche aufzustehen. »Okay ...«, ich stehe neben der Pritsche, nackt, wie die Götter mich geschaffen haben. Zum Glück liegt da ein rotes Gewand mit goldener Borte. Als ich es überstreife, passt es ziemlich genau. Gut, dann gehen wir mal auf Entdeckungsreise.
    Ich bin noch keine zehn Schritte gegangen, als ich eher instinktiv nach rechts sehe und feststelle, dass eine ausgewachsene Löwin neben mir herläuft. Mhm, Löwen sind meine geheimen Favoriten. Nicht umsonst will ich mir irgendwann auf meine rechte Hüfte, also auf mein Becken, Leiste und den äußeren Oberschenkel einen großen Löwen tätowieren lassen. In bunt, versteht sich. Dazu sollte ich erwähnen, dass ich kein Marokkaner bin, wie ich manchmal in der Szene andeute. Ich bin der Sohn einer Nomadenfamilie, ägyptischer Berber, um genau zu sein, und als Kind bis in etwa zu meinem zwölften Geburtstag durch die Wüste gezogen. Um genau zu sein, ich bin genau an meinem Geburtstag als Sohn einer Einwandererfamilie auf dem Flughafen Köln/Bonn gelandet. Ohne ein Wort deutsch zu sprechen, versteht sich. Aber das braucht von denen keiner zu wissen – das wissen meine Freunde, wenn überhaupt, und das genügt, das hat zu genügen. Und ich hatte als Kind – ich war vier, glaube ich, schon mal so ein Erlebnis wie heute. Damals bin ich nachts davon wach geworden, dass Löwen durch unser Lager streiften. Ich habe damals zwölf Löwen gezählt, während alle Stammesangehörigen geschlafen haben, auch meine Mutter, sie war nicht zu wecken. Später habe ich meinen Eltern erzählt, dass ich eine Frau gesehen habe, die einen Löwenkopf hatte, aber sie haben es mir nicht geglaubt. Was ich ihnen nicht erzählt habe, ist, dass die Frau mit dem Löwenkopf mich auch gesehen hat. Und dass ich seitdem gewisse Fähigkeiten habe. Zum Beispiel kann ich mein Aussehen besonders attraktiv machen. Oder aber Gedanken und Gefühle anderer Menschen lesen. So wie bei dem Traumtyp im »Turm«. Nicht einmal jetzt geht ER mir aus dem Kopf.
    Gedankenabwesend gehe ich in die Hocke und streichele die Löwin neben mir, die den Kopf reckt und sich mir ganz hingibt.
    »Braves Mädchen«, denke ich, und meine Gedanken wandern wieder zu dem Disco-Typ und ich verstehe die Welt nicht mehr. Verstehe nicht, was an mir selbst oder mit mir nicht stimmt. So fällt mir nicht auf, dass die Löwin, die ich gerade am Hals kraule, viel zu groß für eine normale Löwin ist, und dass alle, sogar die Menschen, die hier sind, einen großen Bogen um uns machen. Als ich die Hand der jungen Frau auf meiner Schulter spüre, die mich antippt, schaue ich fast erschrocken nach hinten.
    »Komm«, spricht sie, ein Wort in meiner Muttersprache. Ich streiche der Löwin noch einmal über den Kopf, flüstere ihr ein »tschüss, Schönheit« entgegen, und stehe dann auf, folge der jungen Priesterin. Priesterin? Sie muss eine sein, nach dem Symbol, das sie um den Hals trägt. Dann führt sie mich in einen anderen Raum, in dem es dunkel ist. Auf einem Tisch an der linken Seite des Raumes steht rohes Fleisch und schwerer süßlicher Wein in Karaffen. Ich soll hier warten, bedeutet sie mir. Bleibt mir auch nichts anderes übrig, also warte ich.

8
    Shahin
     
    Ich habe längst jedes Zeitgefühl verloren, atme den Duft des Weihrauchs ein, der aus den Räucherschalen in Schwaden durch den Raum zieht. Der Diener ist gewiss schon drei Mal in den Raum gekommen, um Weihrauch in die Schalen nachzufüllen, und ich warte immer noch. Endlich öffnet sich eine Tür, und eine Frau tritt herein. Sie ist groß, fast größer als ich, sehr ... ähm ... muskulös und verschleiert, so dass ich ihr Gesicht nicht sehen kann. Als sie mich anspricht, ist ihre Stimme klar, befehlsgewohnt, aber dennoch weiblich.
    »Ich bin Sachmedia, die Göttin des Krieges und der Heilung«, spricht sie und schaut mich mit ihren grünen Augen durchdringend und beobachtend an. Fast schon sanft fährt sie fort: »Ich habe den Schleier angelegt, um dich nicht zu erschrecken, doch kennen wir uns bereits«, sagt sie, und nimmt den Schleier ab. Eine Frau mit Löwenkopf, nun wird mir einiges klar. Und diese Frau lächelt mich an, und ihre Zähne glänzen wie Gold im Licht der Fackeln.
    »Ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen, mein Kind«, sagt sie, und mustert mich. »Bist du bereit dazu?« Ich nicke beklommen, sie lächelt wieder
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