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Poison (German Edition)

Poison (German Edition)

Titel: Poison (German Edition)
Autoren: Wolfram Alster
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und bietet mir von dem Wein an. Wein. Ausgerechnet, aber ich nehme natürlich.
    »Wir Götter«, sagt sie in einem unverbindlichen Plauderton, »wir Götter unterliegen gewissen Gesetzmäßigkeiten in dieser Welt. So bekommen wir zwar alles mit, was so auf dieser Erde geschieht, aber wir dürfen meistens nicht selbst eingreifen.«
    Als ich erstaunt blicke, lächelt sie und antwortet auf meine nicht gestellte Frage. »Menschen haben stets das Recht auf einen freien Willen. Wenn also eine böse Tat durch einen Menschen verübt wird, so dürfen wir üblicherweise nicht eingreifen, weil die Entscheidung, ob der Mensch diese Tat begeht oder nicht, dem Gesetz des freien Willens des Menschen unterliegt, was bedeutet, dass der Mensch nicht nur immer die Wahl zwischen gut und schlecht hat, haben muss, sondern auch keinesfalls in seiner Wahl eingeschränkt oder beeinflusst werden darf.«
    Ah. Ich verstehe. »Und wer sorgt dafür, dass Menschen diese Wahl bekommen?«, frage ich sie, weil mir der logische Fehler in der Darstellung natürlich sofort aufgefallen ist. Antwortet sie jetzt mit »wir«, hat sie einen Bock geschossen, denn dann greift sie ja doch ein, handelt wohl um der Fairness willen, aber agiert in dieser Angelegenheit doch selbst – was verboten ist, wie sie gerade gesagt hat. Sie jedoch scheint den Braten zu riechen und spielt scheinbar lässig mit ihren Klauen, so dass ich die Krallen deutlich sehen kann und dazu den Gedanken, dass sie gerne mit mir spielen würde – wenn ich denn auch Spaß dabei empfinden würde. Dann zwinkert sie mir verschwörerisch zu und denkt viel zu offensichtlich daran, dass sie bereits ihren Spaß hatte, vorhin, als ich sie gekrault habe. »Argh!«, denke ich – irgendwie hab’ ich das wieder geahnt.
    Und natürlich antwortet sie nicht mit »wir«, sondern erzählt mir davon, dass die Götter sich gelegentlich Menschen offenbaren, die dann die Wahl bekommen, ob sie den Göttern dienen wollen oder nicht. Und diese Menschen treffen dann ab und zu andere Menschen, die es wert sind, am großen Werk der Götter mitzuwirken und die dann wieder entscheiden dürfen, ob sie das wollen oder nicht. Und diese Menschen sind es, die dann – natürlich in dieser Welt nur im Kleinen – für »Chancengleichheit« sorgen, wie man es heute nennen würde. Anders geht es nicht in dieser Welt, sagt sie. Auch wenn sie es gern anders hätte. Schon alleine, weil viel zu viele Menschen viel zu verdorben sind. Stimmt, wenn ich an den Disco-Typen denke.
    Es gibt in Berlin eine Gruppe von schwulen Männern, erzählt sie mir, die sich »Kinder der Isis« nennen und versuchen, Menschen zum Dienst an den Göttern zu bekehren. Anstatt die alten Lehren zu vermitteln, existieren sie allerdings als eine Art Psychosekte. Sie versuchen außerdem, möglichst viele einflussreiche Männer (die Schwulen unter den einflussreichen) als Mitglieder zu gewinnen und Berlin damit »von innen heraus« umzukrempeln, direkten und indirekten Einfluss auf Politik, Gesellschaft und damit die Stadt zu gewinnen.
    »Und das müssen wir verhindern, Shahin«, sagt Sachmedia, und ich ahne, dass sie möchte, dass ich ihr dabei helfe. Ausgerechnet ich. Ich bekomme einen Weg, jederzeit mit ihr zu kommunizieren, sagt sie. Und ich bekomme Wegbegleiter, die ich noch treffen oder zumindest näher kennenlernen werde. Natürlich sage ich zu. Dafür habe ich zu lange in der Wüste gelebt, und dazu ist mir das alles zu real, um ein Traum zu sein.
    Sie segnet mich noch, gibt mir einen Anhänger und führt mich dann zu der Pritsche, auf der ich wach geworden bin. Als ich mich darauf lege, naht der Schlaf. Bevor ich wegdämmere, sagt sie noch etwas, und ich glaube, ich habe mich gerade verhört: »Einen hast du ja schon getroffen – auch wenn es für dich nicht besonders befriedigend war.« Was meint sie damit? Und – vor allem – wen?
     
    Als ich am nächsten Morgen gegen neun in meinem Bett wach werde, habe ich einen Anhänger aus rotem Achat an einer goldenen Kette um meinen Hals.
    Und ich muss schon wieder an IHN denken.

9
    Shahin
     
    Na gut, wenn das Ganze um zehn anfängt, geht das mindestens bis nachmittags. Steht ja auch auf dem Flyer, »bis 18:00 Uhr«. »Und die reduzierten Bücher, nach denen die Studis suchen, brauch ich eh nicht, und das, was ich suche, können die Studis eh nicht brauchen«, denke ich mir. Also Zeit für ein ausgiebiges Frühstück, noch mal Mails checken – oh, eine Mail von Carlos, dass er mich gerne mal privat
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