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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
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geschildert, wie sie die Notizbücher mit Hilfe von Interviews, Erinnerungen und Recherchen zusammengestellt hatten. Die vier pensionierten Polizisten lobten mich für meine Kunstfertigkeit im Abtauchen. Sie waren schließlich einfach nach Rio geflogen, wo man sie kontaktiert hatte. Sie hatten nichts anderes gewollt, als ebenfalls für eine Weile zu verschwinden. Polizeiarbeit kann ganz schön deprimierend sein, versicherten sie mir.
    Meine diversen Zürcher Bekannten stimmten darin überein, dass wir Alívio als Geheimnis bewahren wollen. Die erste Besuchsphase der Tivoli-Gruppe war geplant, noch ohne mich.
    Ich hatte der Versuchung widerstanden, mich irgendwie nützlich zu machen. Ich war der ideale Gast.
    Das
Voltaire
hatte einen gut bestückten Humidor, aus dem ich mir jeden Abend eine Zigarre holte. Die Belastung mit Ökopunkten war gering: Sie waren meistens aus Brasilien, hatten wenig Transportgewicht, erforderten nur Handarbeit. Natürlich stießen sie etwas CO 2 aus, und die Abwärme konnte nicht genutzt werden, aber das würde der Planet schon aushalten. Aushalten müssen, wenn wir ihn aushalten sollten.
    Thomas Schneider schlenderte quer über den Platz, schob den schlafenden Hund unter dem Tischchen etwas zur Seite und setzte sich. Er trug einen absichtlich zerknitterten weißen Anzug und eine Max-Frisch-Sonnenbrille. Er hatte zwar Zigaretten, brauchte aber Feuer.
    »Walter hält heute im Foyer des
Sanssouci
einen Dia-Abend zum Thema
Mit dem Motorrad quer durch Indien
ab«, berichtete er.
    »Endlich. Er redet schon seit Tagen darüber.«
    »Elsa, Nora, Rita, Cornelia und Margrit fahren morgen zurücknach Zürich. Nächste Woche bin ich dran, was hast du vor?«
    »Keine Ahnung. Ich bin noch nicht so lange da. Ich bleibe noch etwas.«
    Ich dachte an die drohenden Hausbesuche. Ich wollte mir von ihnen nicht die Ferien verderben lassen. Hier war es schön, hier machte niemand Hausbesuche.
    »Eigentlich kann man hier nicht leben«, äußerte sich Thomas, »der Mensch kann nur in der Großstadt leben. Und damit meine ich jetzt nicht Zürich, sondern Rio, London oder Berlin. Es ist ja alles gut und schön hier, man gibt sich Mühe, aber es ist halt nur eine Kleinstadt draußen in den Pampas, wenn man das in Brasilien sagen darf.«
    »Man kann hier nicht leben, aber man lebt gut hier. Und die Information ist auch gut. Immerhin gibt’s hier im Café die Metrowand, die von zehn Großstädten Webcamerabilder von belebten Straßenkreuzungen zeigt. Eines von Elsas Expo-Projekten. Yverdon, glaube ich.«
    »Wo bleiben die Gerüche? Die Zufallsbekanntschaften? Die Extreme? Nein, wenn wir nicht bald die nächste Stufe schaffen, geht das hier unter.«
    »Das sagt auch Roberto. Aber das geht dann nicht mehr mit ein bisschen Philanthropie, da braucht es Politik, ernsthafte Politik, viel davon. Zu viel für mich.«
    Thomas rauchte seine Zigarette.
    »Hast du eigentlich Roberto wiedererkannt, als du hier ankamst?«, fragte er.
    »Sagen wir es so: Er kam mir nicht wirklich unbekannt vor. Irgendwie gab es da ein Echo aus vergangenen Zeiten. Er ist natürlich gealtert, wie wir alle.«
    »Wirklich in seinen Kreisen hast du nicht verkehrt«, gab Thomas zu bedenken.
    »Nein, ich verkehrte damals mit den üblichen Verbrechern, Anarchisten, Drogensüchtigen, Verdingkindern, Randständigen aller Art…«
    »Und Alívio? Was hältst du davon?«
    »Ich nehme an, es ist das, was man unter diesen Bedingungen machen kann. Vernünftig, ausgewogen, sympathisch.Es ist nicht sektiererisch, so offen, wie es eben geht, ohne dass man sich alles durch die äußeren Bedingungen kaputt machen lässt. Die Stimmung ist gut, dynamisch, aber ohne Stress. Ich bin schon ganz erholt, ermutigt, aber auch entspannt. Natürlich habe ich einige der ökotechnischen und ökonomischen Aspekte nicht verstanden. Alívio war für mich eine Vortragsreihe. Und da ist eben die anfängliche Fälschung. Es scheint fast so, dass Veränderungen immer von den herrschenden Klassen ausgehen. Schon Marx und Engels waren Bourgeois, Owen und Morris sowieso, Lenin ein Aristokrat. Max Frisch, Dürrenmatt – sie verkehrten ja nicht gerade in meinen Kreisen.«
    »Wir können doch froh sein, dass es auch ein paar Kapitalisten gibt, die ihr Geld in sinnvolle Projekte stecken. Immerhin hat Roberto Konzerngewinne von einem reichen Land des Nordens in ein Schwellenland des Südens zurücktransferiert.«
    »Ich fühle mich umzingelt: zuerst die
association
, dann Chung, nun das hier.
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