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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
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hoffnungsvoll nach.
    »Jede Woche zwei Gespräche«, erklärte Rita, »wir organisieren das mit doodle, mit einem Einsatzplan usw. Alle vier Wochen ein Treffen für Feedback, Auswertung, Reorganisation. Und dann machen die Besuchten ebenfalls Besuche. Schon einmal etwas von exponentiellem Wachstum gehört?«
    »Das funktioniert nie«, wehrte ich mich.
    »Du wirst es schon sehen«, drohte Rita.
    »Solange ich selbst nicht besucht werde…«
    »Darum haben wir dich ja auch eingeladen«, gab sie zurück.
    »Ich kam nur wegen dem Bier.«
    Sie lachten mich aus.
    »Nein, du bist gekommen, weil wir etwas Besonderes angekündigt hatten«, erwiderte Nora augenzwinkernd.
    »Schon. Aber das ist nun wirklich nichts Besonderes. Das machen Mormonen, Zeugen Jehovas und andere Sekten schon seit Jahrhunderten.«
    »Weil es funktioniert«, gab Marcel zurück, »obwohl sie himmelschreienden Quatsch erzählen. Nun? Bist du dabei?«
    »Dazu müsste ich wissen, was in diesem Büchlein steht.«
    Ich streckte schon wieder meine Hand aus. Ich hatte keine Chance.
    »Schon einmal etwas von Hemmungen gehört?«, wandte ich ein.
    Rita lachte mich aus.
    »Also gut. Ich habe keine Hemmungen. Aber eure Strategie bedeutet lediglich, dass wir wieder bei null beginnen. Es gibt doch schon jede Menge Organisationen. Es gibt Dutzende von Umweltorganisationen, Gewerkschaften, Selbsthilfegruppen…«
    Nun war Cornelia dran: »Stimmt. Aber wir sind eben speziell. Offensichtlich vermögen es alle bestehenden Organisationen nicht, der heutigen Situation gerecht zu werden und die Leute wirklich zu erreichen. Die erwähnten Organisationen sind alle zu spezialisiert, zu festgefahren, zu professionell. Sie stehen für die Vergangenheit, die zur Krise geführt hat. Die Leute müssen und wollen bei null beginnen.«
    »Der Weltgeist macht wieder Hausbesuche«, witzelte ich. Alle lachten herzhaft.
    Je länger sie mir ihre verrückte Strategie erklärten, umso mehr leuchtete sie mir ein, obwohl sich alles in mir sträubte. Was aber sträubte sich in mir? Die zu besuchenden Leute würden mich ja nicht umbringen. War da nicht ein seltsamer Stolz, eine Art Verbitterung darüber, dass man so viel versucht hat und sich nun eingestehen muss, dass man nichts erreicht hat und wieder bei null beginnen muss? War das nicht erniedrigend?
    »Wir sind schon 100 Besucher«, berichtete Martin, ein jüngerer Mann mit Bart, »wenn wir zwei Besuche pro Wochemachen, erreichen wir in zwei Wochen 400 Leute. Wenn von denen nur die Hälfte wieder mitmacht, dann sind es eine Woche später 1200 Leute usw.«
    »Die Leute werden an irgendeinem Punkt doch wissen wollen, was ihr konkret vorschlagt«, gab ich zu bedenken.
    »Es ist ja klar, was wir vorschlagen«, sagte Nora und machte eine umfassende Handbewegung durch den Innenhof.
    »Man müsste aber Robertos Projekt noch auf schweizerische Verhältnisse ummünzen.«
    »Steht alles hier drin«, sagte Rita und hielt das Notizbuch hoch, »alles durchgerechnet, pfannenfertig für die Umsetzung. Mit technischer Hilfe unserer Freunde in Alívio. Oder findest du, dass sie nicht kompetent sind?«
    »Na gut, das hat Hand und Fuß. Aber diese Hausbesuche…« Ich hoffte, dass Rita – eine gestandene Kantonsrätin – dem Spuk endlich ein Ende bereiten und diese Bande von entfesselten IdealistInnen in ihre Schranken verweisen würde. Ich wies sie darauf hin, dass sie selbst unzählige Stunden persönlich vor Migros- und Coop-Filialen für Wahlen und Abstimmungen geweibelt hatte – alles ohne Erfolg.
    Meine Hoffnung wurde enttäuscht.
    »Das war immer für Wahlen, da redet man nicht wirklich mit den Leuten, denn sie merken, dass man nur ihre Stimme will. Was wir jetzt machen, ist viel tiefgreifender. Wir beginnen völlig neu. Das wird eine neue Bewegung, von Grund auf.«
    »Aber die braucht eine Organisationsform«, beharrte ich, »Besuche allein bringen nichts, die Besuchten müssen bei etwas mitwirken können. Da braucht es Werkzeuge…«
    »Haben wir!«, sagte Rita und hielt wieder ihr Büchlein in die laue Nachtluft.
    Nach dem vierten Bier versprach ich mitzumachen.
    Heimlich hoffte ich auf die Singularität.
    Das Büchlein zeigten sie mir nicht. Ich fürchtete, dass es leer war. Ganz und gar.

32.
    Ich saß unter der Arkade des Café
Voltaire
, gerade neben dem Kunstmuseum, gegenüber dem Restaurant
O Dourado
, trank meinen Espresso und schaute den Passanten nach. Ich hatte im Prinzip alles gesehen, verstanden und geklärt. Thomas und Elsa hatten mir
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