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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
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Aliva-Produkten.«
    »Nein, nur ein organisierter Konsument. Eigentlich ein Nicht-Bloß-Konsument. Aliva-Produkte sind schon ein Element einer Verschwörung, denn sie sind praktisch nur unter gewissen sozialen Bedingungen verwendbar. Oder was machst du mit fünf Kilo gepökeltem Schweinefleisch?«
    »Eine Feijoada für hundert Personen?«
    »Du hast es begriffen.«
    »Das Feijoada-Prinzip.«
    Gerade als ich durstig wurde, stand die Besichtigung der kleinen Brauerei an. Das Alívio-Bier – genannt:
Sorriso
– wurde nur fassweise geliefert, um sich die ganzen Umstände des Recyclings von Flaschen oder gar Dosen zu ersparen. Vor der Brauerei gab es einen schattigen Biergarten, wo wir die vier Sorten probieren konnten. Ich hängte meinen Panamahut an eine Stuhllehne und setzte mich.
    Das Bier war eiskalt. Und es schmeckte besser als Brahma oder Antarctico.
    »Es ist zwar eine Belastung der Ökobilanz«, erklärte Lea, »aber bei der Kühlung von Bier machen wir keine Kompromisse.«
    »Ja, was nützt einem eine schöne Ökobilanz, wenn man warmes Bier trinken muss? Da kann man sich ja gleich umbringen und somit die Bilanz radikal verbessern.«
    Der Tag hatte mich erschöpft. Eine anstrengende Lektüre. Eine heiße Lektüre. Wenn man Alívio als Ganzes betrachtete, sah man sehr gut, dass es nur funktionieren konnte, weil die Proportionen stimmten. Es war groß genug, um eine energieeffiziente Brauerei zu betreiben, klein genug, um das Bier nicht allzu weit transportieren zu müssen. Es lohnten sich mittelgroß dimensionierte Technologien und Infrastrukturen – eine Mühle, eine Teigwarenfabrik, ein Spital, ein olympisches Schwimmbecken, eine Biogasanlage –, die für kleinere Einheiten nicht effizient gewesen wären. Alíviowar ein ökosoziales Gesamtkunstwerk. Eigentlich konnte man auf dem ganzen Planeten in solchen Kleinstädten oder Stadtquartieren leben, ohne irgendetwas zu vermissen.
    Ich fragte Carmen, eine der Brauerinnen, ob sie sich denn in Alívio nicht eingesperrt vorkämen.
    »Überhaupt nicht, wir machen Reisen in die ganze Welt. Wir müssen nur aufpassen, dass wir Busse, Bahnen und Schiffe nehmen und nicht fliegen, sonst ruinieren wir unsere Ökobilanz, und die ist uns heilig. Eine Energiebilanz unter 1000 Watt erlaubt es uns zum Beispiel, jedes Jahr 2000 Kilometer Bahn oder Bus zu fahren und eine Schiffsreise von 12000 km zu machen. Wir haben eine Biogas-Busflotte, dank der wir nach São Paulo, Rio oder Buenos Aires reisen können. Wir haben einige Ökosegelschiffe in São Paulo…«
    »…die
Sirena
…«
    »Das ist nur ein kleiner Prototyp. Wir bauen jetzt ein ähnliches Schiff für 100 Passagiere. Damit können wir auf allen Ozeanen herumfahren. Ich war schon auf Barbados. Kennst du Barbados?«
    »Flüchtig. – Und Europa?«
    »Ist noch schwierig«, sagte Carmen, »wird aber in ein paar Jahren möglich sein. Inzwischen chartern wir Plätze auf Kreuzfahrtschiffen. Wir haben ein eigenes Reisebüro, Alivitours.«
    »Und alle kommen wieder zurück?«
    »Alle, die wollen. Es gibt Hunderte von Leuten, die einmal hier gewohnt haben und nun anderswo etwas Neues aufbauen. Alívio ist auch eine kleine Universität. Wir sind keine geschlossene Gesellschaft.«
    Carmen schilderte mir, wie sie mit Hilfe von Alivitours die Verschwundenen via Hamburg und Southampton auf Kreuzfahrtschiffe geschleust und dann in Rio diskret ausgeschifft und per Bus nach Alívio verfrachtet hatten.
    Ich radelte allein zum Blenheim zurück. Passanten erkannten mich und winkten mir zu. Ich winkte zurück und wäre fast in den Straßengraben gefahren. Ich hatte ein bisschen mehr
Sorriso
gehabt, als mir guttat.
    Als ich im Blenheim eintraf, entdeckte mich eine Kinderschar, die mir »Paulo! Paulo!« zurief. Ich grinste freundlich und zog mich in mein Zimmer zurück, wo ich duschte und auf das Bett kollabierte. Zu viel Alívio für einen Tag. Alívio konnte auch anstrengend sein.
    Erholt und nach einem kleinen Imbiss begab ich mich gegen zehn Uhr zur Walser-Lesung. Es war nun angenehm kühl. Das Kunstmuseum lag am Hauptplatz. An den Wänden des Saals, wo die Lesung stattfand, hingen mindestens ein Hodler, ein Comensoli, ein Max Bill, einige Rosina Kuhn, bunte Blumenbilder von Fischli und Weiß und anderes. Die Schweizer Gäste waren fast alle da. Es gab argentinischen Weißwein und Nüsse.
    Ich traf Marcel Lüthi, der sich völlig erholt hatte. Er berichtete mir, dass er damals durchgedreht sei, weil gerade er als Sachbearbeiter der
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