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Plötzlich Royal

Plötzlich Royal

Titel: Plötzlich Royal
Autoren: Roland Brodbeck
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gefallene Verwandte eingeladen waren. Meine Mutter war ein Unfall gewesen: Als sie unterwegs war, hatte mein Großvater Prinz George 1966 mit achtzehn Jahren überstürzt meine Großmutter heiraten müssen. Die Ehe hatte nicht gehalten und die Queen war darüber „not amused“ gewesen. Doch wenn Ihre Majestät damals gedacht haben sollte, es könne nicht noch schlimmer kommen, so hatte sie sich geirrt. Kaum war meine Mum halbwegs erwachsen, setzte sie noch einen Skandal drauf: Mein Vater war Katholik und Katholiken zu heiraten ist nach dem Act of Settlement für das Königshaus tabu. Also war Mum aus der Thronfolge geflogen und vom Hof verbannt worden. Die Presse sprach heute sowieso nur von meiner älteren Zwillingsschwester. Ich als Schwulenaktivist und seit einigen Wochen stolzes und wohl jüngstes Mitglied des Vereins QueerOfficers Switzerland bin wohl der Queen-Schreck schlechthin. Sie hatte ja mit den beiden Söhnen von Prince Charles schon genug Skandälchen zu ertragen gehabt, wie etwa die Aktivitäten im Hinterzimmer der Kneipe The Rattlebone Inn.
    Auch ich selbst war das Produkt eines Unfalls im Bett und durch die Hochzeit quasi auf dem Weg zur Entbindung noch legalisiert worden. Obwohl ich etwa gleich alt war wie Harry, war ich eine Generation weiter von der Queen entfernt als er, denn durch die „Unfälle“ hatte sich meine Linie ja ziemlich beeilt.
    Dieser Anzug! Wie ein schlitzohriger Anwalt sah ich darin aus. Plötzlich fiel mir ein, dass ich neulich im Internet eine lustige Meldung gelesen hatte: „Harry lässt sich von Mann küssen für ein Bier.“ Konnte man daraus etwas schließen? Ich hatte schon immer eine Schwäche für Experimente gehabt und wollte ja auch Physiker werden. Wie wäre es also mit einem Experiment, um herauszufinden, ob er vielleicht auf Jungs wie mich steht, fragte ich mich und zog schnell den Anwaltanzug aus. So richtig viele Klamotten besaß ich nicht, aber die blauen, ziemlich ausgewaschenen CSD-Röhrenjeans wären doch geeignet, dachte ich mir, und dazu würde ein pinkfarbenes, in die Hose gestecktes Hemd mit Krawatte hervorragend passen. Die Krawatte könnte mein kleines Entgegenkommen an das Establishment symbolisieren. Die engen Röhrenjeans waren zwar nicht mehr ganz in Mode, inzwischen war eher flacher Po mit Hühnerbeinen angesagt.
    Das Experiment mit den wadenengen Jeans war also beschlossene Sache. Ich spielte einen Moment mit dem Gedanken, den Regenbogen-Gürtel in die Hose einzufädeln, den ich damals beim CSD zusammen mit hohen bunten Sneakers getragen hatte. War das vielleicht doch ein Tick zu rebellisch? Ich überlegte. Nein, ich war schließlich keine Klemmschwester – auch nicht beim Besuch eines Royals. Also zog ich den Gürtel in die Jeans ein, dann entschied ich mich allerdings für weiße Turnschuhe, denn die bunten wären wohl doch etwas zu schrill gewesen. So! Als Röhrenjeans-Boy fühlte ich mich gleich wieder wie siebzehn und nicht wie ein Siebenunddreißigjähriger, zu dem mich der spießige Anwaltanzug gemacht hätte.
    Ich schaute wieder hinunter auf den Villenrasen. Ein Typ wie aus einem amerikanischen Agentenstreifen in einem schwarzen Anzug, so schwarz wie seine Hautfarbe, schnüffelte dort mit einem Kantonspolizisten herum. Die beiden waren wohl wegen der allgemeinen Sicherheit hier, nicht nur wegen Harry.
    „Der Herzog von Schwanstein mit seinem Sohn und deiner Schwester ist gleich da und Prince Harry auch. Kommst du endlich herunter, Sascha? Gopf!“, rief Papi, der ebenfalls auf dem Rasen herumlief, zu mir hoch.
    Ich hatte bei meiner Nabelschau die Zeit vergessen. Schnell stellte ich mir mit Gel noch ein paar Haare über der Stirn frech auf und öffnete meine Dachkammer. Mein schnauzbärtiger, sorgfältig ausstaffierter Papi stand nun vor der Tür und musterte mich mit großen Augen.
    „Nicht dein Ernst, Bub! Pubertätsrückfall oder was?“, brummte er beim Anblick meines Outfits. Ich schlängelte mich mit einem Lächeln an ihm vorbei. Unten im Salon drehte sich die Dame des Hauses zu mir um und schüttelte verständnislos den Kopf.
    Ich antwortete wieder mit einem Lächeln. Das funktionierte stets viel besser als eine Diskussion über jugendliches Lebensgefühl versus Anstand. Für eine Familienkonferenz über mein Outfit wäre es nun sowieso zu spät gewesen: Wichtige Leute aus Papis Firma tummelten sich bereits auf dem Rasen und unser Nachbar von der Schweizerischen Volkspartei, der SVP, schlurfte gerade über den Gartenweg zu uns
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