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Plan D

Plan D

Titel: Plan D
Autoren: Simon Urban
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Brust. Die Ministeriumsgruppe diskutierte. Lieneckes Männer hatten den kompletten inneren Ring der Absperrung vom Laub befreit. Einer verlud die Säcke auf zwei abgedeckte Hänger, die anderen liefen hinter der Flatterbandgrenze mit Handstrahlern durch den Wald. Betrunkene Riesenglühwürmchen, die nichts finden würden, solange sie nichts finden sollten.
    »Wenn ich bitten darf.« Jocicz hatte seine freundlichste Stimme ausgepackt.
    Wegener versuchte trotz der Müdigkeit ein interessiertes Gesicht hinzukriegen.
    »Sie wollten doch gern dabei sein.« Jocicz schob die Klappleiter etwas näher an die Pipeline, stieg auf der rechten Stufenreihe hoch und machte eine einladende Handbewegung, ihm auf der linken zu folgen. Wegener zog Handschuhe aus der Schutzanzugtasche, streifte sie über, prüfte den Stand der Leiter.
    »Alles sicher«, rief Jocicz von oben.
    »Der misstrauische Kommissar überprüft die Leiter«, sagte Wegener mehr zu sich selbst und kletterte, bis Rücken und Nacken des Toten vierzig Zentimeter vor seinem Gesicht waren. Jetzt konnte er den dunklen Ring sehen, den die Schlinge in den langen Hals fraß. Unten der Phobos Prius wie ein zu früh bestellter Leichenwagen. Zwei Dellen im schwarzen Dach.
    Jocicz guckte dem Hängenden über die Schulter, seine Hände tasteten, die Gummifinger kletterten am strammen Seil hoch, wurden zur Faust, zogen kurz und kräftig daran.
    Wegener sah Jocicz direkt in die Augen. Jocicz hielt dem Blick stand.
    »Eine Hinrichtung«, sagte Wegener.
    »So sieht es aus«, sagte Jocicz.
    »Oder die Inszenierung einer Hinrichtung.«
    »Auch das ist möglich.«
    »Wann?«
    »Vor rund 4 8 Stunden«, sagte Jocicz. »Eher etwas weniger. Tod nicht durch Strangulation, sondern durch Genickbruch. Man hat ihn aufs Wagendach gestellt und Gas gegeben, anderthalb Meter Fall, Exitus.«
    »Ok.«
    »Zusammengebundene Schnürsenkel und ein Henkersknoten mit acht Rundtörns, Herr Wegener. Gute Chancen, um schultertief in die Scheiße zu greifen.«
    »Ist mir nicht entgangen.«
    »Und die Klamotten sehen nach Bonze aus.«
    »Definitiv.«
    Jocicz strich sich mit der Hand durch die Haare. Ein kleines, gelbes Blatt, das sich in seinem Scheitel verfangen hatte, schwebte herunter. Wegener merkte, dass die Leiche roch. Nach Schweiß, nach dumpfem Moder und langsam einsetzender Verwesung.
    »Was tun Sie jetzt?«
    Wegener klammerte sich mit beiden Händen an die kalten Leiterholme. »Ermitteln. Ich bin ja der Ermittler.«
    »Ein Ermittler, der niemanden verhaften kann.«
    »Das macht nichts, verhaftet wird ja sowieso nie jemand«, sagte Wegener und stieg die Leiter langsam wieder herunter.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

2
    W egener öffnete die Augen, schloss sie wieder, öffnete sie. Der Ventilator klebte über ihm an der Decke wie ein rundliches Insekt mit drei fetten, platten Beinen. Dieses faule Vieh bewegte sich nie, hatte sich nie bewegt, würde sich vermutlich nie bewegen. Vielleicht war es gar nicht angeschlossen. Wegener versuchte sich zu erinnern, ob Karolina jemals den Ventilator zum Surren gebracht hatte, in irgendeinem heißen Sommer, um ein bisschen Spielfilmstimmung herzustellen. Ihm fiel nichts ein. Das Ding hatte immer nur tot herumgehangen und einen langsam wandernden Schatten an die Decke geworfen. Einen verzerrten Spinnenschatten mit drei fetten, platten Beinen.
    Er tastete auf dem Nachttisch nach seinem Minsk, drückte auf die Menütaste, hielt sich das leuchtende Display direkt vor die Nase: 10:49h. Ein Anruf in Abwesenheit, 09:53h, W . B. Büro . Borgs wartete jetzt schon seit einer Stunde auf Rückruf, zweihundert Fotos vom Tatort vor sich ausgebreitet, die Zeugenaussage des Jägers Soundso im Kopf, den Wanst prall gefüllt mit der hartnäckigen Entschlossenheit, die ihn seit achtzehn Jahren Vorgänge von den Schreibtischen seiner Abteilung schieben ließ, wenn politische Windhosen am Horizont auftauchten. Wegener merkte, wie recht ihm die Borgs’sche Abschiebepraxis in diesem Fall war. Er drehte sich auf den Bauch, drückte das Gesicht ins Kissen, zog sich die Decke über den Kopf und rechnete nach, wie lange ihn diese Pipelinegeschichte noch beschäftigen würde: realistisch betrachtet, acht Stunden. Dann hatte das K5 übernommen, eine Geheimhaltungsstufe draufgeklatscht, Verschlusssache, fertig. Oder es ging gleich in die Normannenstraße, Staatsschutz, Interne Abteilung. Jocicz durfte die Obduktion abgeben, Lienecke die Spurenauswertung, er selbst das wochenlange Ratespiel, die
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