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Plan D

Plan D

Titel: Plan D
Autoren: Simon Urban
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Vernehmung von Spaziergängern, Reitern, Pilzsammlern, Pipeline-Wachschutzheinis, die Streitereien mit dem Energieministerium über Ermittlungen im Sperrgebiet und den ganzen anderen Dreck. Stattdessen Verschwiegenheitsverpflichtungserklärung aufgrund Sonderermittlungsstatu s III, ein dünnes, gelbes Blatt Papier mit einer Menge kleingedruckter Drohungen, die von Herabstufung über Kündigung bis Bautzen reichten. Dann konnten alle, die gestern Abend dabei waren, unterschreiben, dass sie weder ihre Arbeit verlieren noch zu einer Haftstrafe wegen Geheimnisverrats verurteilt werden wollten und deshalb zukünftig mit niemande m – respektive mit verwandten / angeheirateten Personen und / oder den an der betreffenden Ermittlung beteiligten Kollege n – über die entsprechenden dienstlichen Vorgänge und sämtliche begleitende Umstände reden oder anderweitig kommunizieren würden. Bei dem Passus anderweitig kommunizieren musste Wegener immer an Rauchzeichen denken. Vielleicht wegen der Indianer-Zeltlager, die Tobias Kirchhoff früher jeden Sommer für die FDJ angeleiert hatte, irgendwo in Mecklenburg. Wegener stellte sich Jocicz, Lienecke und die Spurensammler vor, im Kreis um ein qualmendes Lagerfeuer in Neustrelitz, jeder mit einer Decke in der Hand, beim Versuch, über den Toten an der Pipeline anderweitig zu kommunizieren . Jocicz schrieb mit Rauchwolken in den Abendhimmel: Glaubt mir, Männer, Schnürsenkel zusammengebunden, der Galgenknoten achtmal gewickelt, das waren SIE, einwandfrei, verdammte Scheiße. Und Lienecke, wedelnd: Kein Zweifel, nichts gefunden im Laub, nicht den kleinsten Hinweis, und genau das ist der Hinweis, so sauber arbeiten nur DIE! Und sämtliche Spurensammler mit synchronen Fächelbewegungen wie ein tragischer Chor: Nicht den kleinsten Hinweis, das ist der Hinweis!
    Wegener warf die Bettdecke zur Seite, stand ächzend auf, stellte das Fenster auf Kippe, schlurfte ins Bad. Der letzte funktionierende Deckenstrahler schickte sein spärliches Licht in Richtung Waschbecken. Toilette und Wanne blieben in grünlich gefliester Dunkelheit zurück. Auf dem Spiegelschrank leuchtete Karolinas alte Deospray-Dose, ein lachsfarben glitzernder Phallus mit der Aufschrift Action . Die letzte Action in unserer Beziehung, hatte Karolina irgendwann mal gesagt, und Wegener darauf: Erstens war das ein echt mieser Kalauer und zweitens geht diese Action wenigstens nie zu Ende, sondern wartet dein Leben lang auf dich, palettenweise, im Konsum, mit viel Solidarität produziert vom Kombinat Körperpflege. Darauf Karolina: Von dem du noch nie was gehört hast. Darauf Wegener: Ich rieche nach Mann. Karolina: Das riecht man. Und jetzt war er seit einem Jahr unfähig, eine hässliche Dose wegzuwerfen, die in seinem Badezimmer lachsfarben lauerte. Die jeden Morgen im Spot der halbinvaliden Lampe erstrahlte wie ein abgetakelter Schlager-Star auf der Parkbühne von Eisenhüttenstadt und das alte Lied vom Verlustschmerz anstimmte, vor dem alle Menschen gleich sind.
    Wegener stützte sich mit beiden Händen aufs Waschbecken und betrachtete im Spiegelschrank ein Gesicht, das seit sechsundfünfzig Jahren seins war. Trotz schnabeliger Nase, nach hinten flüchtender, blassblonder Haare und etwas zu runder Wangen kam ihm dieses Ichgesicht manchmal gutaussehend vor. Heute nicht. Heute erschien ihm die hunderttausendfach überprüfte Visage konturlos, beliebig, unproportional, von roten Striemen lächerlich gemacht, die der Faltenwurf des Bettlakens hinterlassen hatte, eine zerknitterte Landkarte, auf der wenig gewonnene und viele verlorene Schlachten eingezeichnet waren. Hauptmann Hängebacke. Nichts, was Karolina vermissen müsste, dachte Wegener und wusste, dass er schon genau so oft das Gegenteil gedacht hatte, vor dem gleichen Spiegel, mit den gleichen Lakenfalten auf der Stirn. Er drehte die Dose so, dass man Action nicht mehr lesen konnte, und schaltete das Radio ein. Jan »Schmuso« Hermann, verkündete die dauerglückliche Moderatorenstimme, der König der DDR-Kuschelbarden und sein neuer Song Fraglos, die Zeit hasst die Liebe . Belanglose Akkorde setzen ein.
    Denk dran, sagte die Früchtl-Stimme in seinem Kopf, Männer sind wie Holzdielen, sie werden im Alter immer schöner. Frauen sind wie Holzdielen unter einem undichten Dach, sie gammeln beharrlich in Richtung Finale.
    Wie sie mir fehlen, deine verbalen Geisterfahrten, dachte Wegener.
    Unter der dampfend heißen Dusche versuchte er, Jan »Schmuso« Hermanns Geplärr zu
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