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Plan D

Plan D

Titel: Plan D
Autoren: Simon Urban
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Menschen, die erzwungene, willkürliche Gemeinschaft, an der keiner der Anwesenden jemals ein Interesse gehabt hatte. Der Zufall, der den einen hängen und die anderen buddeln ließ und der auch das Gegenteil hätte veranstalten können. In der aktuellen Konstellation bin ich Volkspolizeihauptmann, dachte Wegener, und der aufgeknüpfte dürre Alte mit dem teuren Mantel, der Seidenkrawatte, der goldenen Uhr und den zusammengebundenen Schnürsenkeln ist das Opfer. Fünfundsiebzig, achtzig Jahre Leben enden unter der Nordmagistrale am Müggelsee, warum auch immer, und schon geht das ewige Theater von vorne los, die Ermittlungsfabrik, die Fragen, die Lügen, die Ahnungen, immer gibt es nur fünf mögliche Antworten, natürliches Ableben, Unfall, Suizid, Totschlag, Mord, ein Ergebnis so wenig hilfreich wie das andere, jedes Resultat kommt immer zu spät, befriedigt höchstens Beamtenehrgeiz und Verwandtenschmerz, bleibt belanglos.
    Die hüpfenden Lichtkegel auf dem Forstweg waren inzwischen zu zwei Scheinwerfern geworden, die jetzt die leichte Steigung herunterkamen, durch die Senke rollten, einen Bogen drehten, blendeten. Der Auspuff röchelte, Wartburg Aktivist, dachte Wegener, alt, aber gepflegt. Der Wagen stoppte neben dem Generator. Das Röcheln verstummte. Die Ministeriumsdelegation glotzte. Zwei Aluminium-Heckflossen schimmerten, eine Rapsol-Wolke wehte herüber, der ewige, überhitzte Frittierfettgestank, dann gingen die Scheinwerferaugen aus, die Innenbeleuchtung an, ein blonder Mann kramte in einer Tasche, packte etwas hinein, öffnete die Wagentür, kletterte heraus, grüßte die Gaffer, warf die Tür ins Schloss, kam auf Wegener zu.
    »Doktor Sascha Jocicz«, sagte der Blonde mit etwas atemloser Stimme, »Gerichtsmedizin Mitte, Bereitschaft.«
    »Martin Wegener, Kripo Köpenick«, sagte Wegener und musste einen langen, schmerzhaften Händedruck über sich ergehen lassen.
    »Oberstleutnant Wegener?«
    »Hauptmann, Herr Doktor.«
    Der Doktor lächelte nicht, wenn er bei der Arbeit fremde Hände quetschte, also lächelte Wegener auch nicht. Jocicz gab ihn frei und betrachtete die Pipeline, den Toten, den glänzenden Prius, die Laubsäcke. Sein Blick wanderte von rechts nach links über die Szenerie, von links nach rechts wieder zurück. Eingescannt, dachte Wegener. Jocicz drehte sich um, stiefelte zu seinem Wartburg, öffnete zackig die Kofferraumklappe, hob zackig einen großen Metallkoffer heraus, schlug zackig die Kofferraum-Klappe zu, überprüfte seine Frisur in der spiegelnden Heckscheibe, ging sich zärtlich mit der Hand über den Scheitel. Besteht fast nur aus Kanten, dachte Wegener, eckiger Schädel mit eckigem Kinn. Darunter eckige Schultern. In der Hose vermutlich Beine wie Stahlträger. Muskulöse Balken, um extra zackig zu marschieren.
    »Wer knattert so spät durch Nacht und Wind?« Lienecke duckte sich unter dem Absperrband durch.
    »Belesen ist er auch noch, der Kollege.« Jocicz gab Lienecke die Hand, beide griffen zu, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Na, Ulf.«
    »Na, Sascha.«
    Wegener überlegte, wer fester drückte, Ulf oder Sascha.
    »Der Anlasser?« Lienecke befreite seine Hand, um sich damit am Kopf zu kratzen. Der Gerichtsmediziner hatte gewonnen.
    »Kriegen sie nicht hin. Zumindest nicht bei der Winterbaureihe. Und das ist ja schon der zweite dieses Jahr. Zuverlässig bricht das Ritzel.«
    »Was kostet ein Anlasser bei den Wartburgs?«
    »Zu viel. Aber beim neuen Agitator ist ja angeblich alles anders.« Jocicz ließ seinen Metallkoffer aufschnappen und zog einen weißen Schutzanzug heraus.
    »Sie kennen jemanden, der einen Agitator fährt?«, fragte Wegener und sah in den Himmel. Kräftiger Wind hatte die Baumkronen gepackt. Der ganze Wald fing an zu rauschen.
    »Ich kenne sogar jemanden, der einen Phobos Datscha fährt.«
    »Ich auch«, sagte Lienecke, »Achtung Krenz.«
    Jocicz grinste ein eckiges Grinsen und kletterte in seinen Anzug.
    »Was erwarten Sie von den Gas-Konsultationen mit Westdeutschland, Herr Hauptmann? Meine Mutter sagt immer, alle Politiker sind Verbrecher. Da müsste ein Kriminalbeamter doch längst was im Urin haben.«
    »Wahrscheinlich liegt Ihre Frau Mutter richtig«, sagte Wegener. »Eins ist sicher, am Ende wird niemand verhaftet.«
    »Da haben Sie Recht. Verhaftet wird von denen keiner.«
    »Lafontaine schlägt sich in Weimar den Bauch mit Thüringern voll«, sagte Lienecke, »währenddessen streiten sie zwölf Stunden über den Gaspreis, dann fährt er wieder.
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