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Plan D

Plan D

Titel: Plan D
Autoren: Simon Urban
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Fotoapparat in einem Verbotszeichen, ein Spaziergänger in einem Verbotszeichen, der Weg zog nach rechts, wurde abschüssig, der Wagen rutschte, Wegener bremste und sah schon die silbrige Pipeline-Schlange, die sich ihm entgegenkrümmte, näher kam und wieder abknickte, sah einen weißen Phobos mit roten Ralleystreifen, tief in der Senke zwischen den Bäumen geparkt, rutschte immer noch, wurde schneller, alles Bremsen half nichts, der Wagen hatte inzwischen seinen eigenen Willen, war seine Minderwertigkeit gestrichen leid, wollte sich jetzt endgültig den Garaus machen, schrammte an einem Baumstamm entlang, riss sich den rechten Außenspiegel ab, schlidderte auf das zweite Warnschild zu, wälzte es um und schlug mit dem Kühlergrill voran in einen Eichenstamm ein, dass Wegeners Kopf schwungvoll aufs Lenkrad nickte, wieder zurückfederte, auf die Brust sackte.
    Bevor der beißende Stirnschmerz einsetzte und den Hüftschmerz zu einer angenehmen Empfindung machte, spürte er schon das Blut, das ihm warm übers Gesicht lief, in die Augen, in den Mund, das nach Eisen schmeckte wie der Sockel der Befreierstatue, das ihm auf den Mantel suppte, auf die Hose, auf den Sitz. Die Tür klemmte, war verzogen, also musste man sich dagegen werfen, drei-, vier-, fünfmal, bis sie nachgab und ihn der eigene Schwung aus dem Wagen ins nasse Laub kippen ließ, ein schwerer Sack in schusssicherer Weste, der ein paar Meter bergab rollte, sich mühsam hochrappelte, in die Senke wankte, Reste des Absperrbands flatterten in den Brombeeren, der Waldboden längst wieder voller Blätter, kräftiger Wind blies ihm ins Gesicht, die Blase schmerzte. Unter dem moosigem Bauch der Pipeline mehrere Löcher im Boden, gerade erst gegraben, gescheiterte Buddelversuche eines planlosen Schatzjägers, und als Wegener das Rascheln hinter sich hörte, war es schon zu spät, denn zu spät ist es oft schon sehr früh, dachte er, da sauste das glänzende Metall des Spatens längst auf ihn zu, traf ihn platt am Hinterkopf, kat-sching! ein stumpfes Schellen und er fiel schon wieder, also nichts Neues, ließ den Waldboden auf sich zukommen, alles bewegte sich in seine Richtung, die Wurzeladern hatten die Farbe von Hoffmanns Halskerbe, jetzt drückte er sein blutiges Gesicht schon schön fest in die frische Erde, erleichtert und müde, eine feuchte Kühle, ein lehmiges Wohlgefühl, für das die fetten Bonzenschlunzen in ihren Moorbädern ein Vermögen hinblättern mussten, das alles gab es hier umsonst.
    *
    Die erste Ohrfeige krachte ihm von links ins Gesicht.
    Die zweite von rechts. Dann wieder eine von links.
    Die Person, die hier austeilte, hatte Lust am Zuschlagen, so viel war klar. Wegener versuchte, die Augen zu öffnen. Wasser tropfte ihm auf den Kopf. Seine Stirn brannte. Er schmeckte nasse Erde und Blut.
    »Aufwachen!«
    »Geht schlech t …«
    »Was?«
    »Geht schlecht, wenn Sie mich beim Aufwachen k . o. schlage n …«
    »Sind Sie allein?«
    »Ja.«
    »Weiß jemand, wo Sie sind?«
    »Nein.«
    »Ihr Telefon?«
    »Rechte Manteltasche, ist abe r …«
    »Kann man Sie orten?«
    » … kaputt.«
    Jetzt wurden Umrisse erkennbar, die Bäume, eine Pipeline-Stelze, lange Haare, jemand durchsuchte seine Jacke, saß fast auf seinem Schoß, presste sich an ihn. Die langen Haare waren feucht. Sie rochen leicht süßlich. Nach Vanille.
    Wegener genoss den Duft. Sog ihn tief ein. Spürte warmen Atem in seinem Gesicht, an seinen Ohren, in seiner Nase, merkte, wie es in seinem Schritt kribbelte, wie die Hose von einer Sekunde auf die andere zu eng wurde, wie die Erektion sich wichtig machte, lächerlich machte, ohne jede Rücksicht auf ihren Eigentümer.
    »Ok, ich hab’s. Das ist wirklich hin.«
    Maries Gesicht tauchte direkt vor ihm auf, ein paar blonde Strähnen klebten ihr auf der verschwitzten Stirn, der Mund leicht geöffnet, die dunklen Wimpern flatterten.
    Für einen gedehnten, feierlichen Moment sahen sie sich in die Augen. Wegener hatte das Gefühl, diese spröden Lippen würden gleich näher kommen, Ohrfeigen und Spatenschlag hin oder her, hier fehlten nur zehn Zentimeter zu einer historischen Zärtlichkeit am Tatort, für Gefühle jenseits aller politischen Absichten, für einen schwachen Moment voller Leidenschaft, der sämtliche Schmerzen sofort ausblenden würde, Hüftschmerz, Stirnschmerz, Hinterkopfschmerz, Blasenschmerz, der den Erdgeschmack, Blutgeschmack, Schweißgeschmack vertreiben könnte, ein Kuss, der vielleicht nach Vanille schmeckte, so wie
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