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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
Autoren: Daniel G. Keohane
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der Sonne. Joyce versuchte, es festzuhalten.
    Nein, Herr. Lass es mich nicht vergessen. So schlimm es war, es war auch ein Wunder. Auch wenn es nicht von dir gestammt haben mag, was wir bezeugt haben, war in jeder Hinsicht ein Wunder. Und in gewisser Weise ein Segen.
    Ein Segen des neuen Heims. Und durch einen bedauerlichen Unfall war die falsche Schublade herausgerissen worden – Bill war zu aufgeregt dabei gewesen, als er zeigen wollte, was er alles gebaut hatte.
    Die Schublade war zu Boden gefallen, der Inhalt herausgekullert.
    »Nein!«, schrie Joyce. »So ist es nicht passiert! Ich will mich erinnern!«
    Alle sahen sie an, Bill mit derselben Verwirrung, die sie empfand. Warum hatte sie gebrüllt? Die Watts’ waren ein starkes Paar, sie würden diese Geschichte mit Gottes Hilfe überstehen.
    »Nein, bitte «, wiederholte sie und schaute zum klaren, blauen Himmel auf. »Ich will mich erinnern.« Etwas in Joyces Verstand lichtete sich jäh. Dann setzte ruhige Gewissheit ein, als die letzten Erinnerungsfetzen wegtrieben. Und zurückkehrten.
    Sie schaute zu Gem, die mit Socken im Gras stand. Gems Blick wanderte zwischen Joyce und der besorgten Miene ihres Bruders im Garten nebenan hin und her.
    Joyce erinnerte sich noch an alles, an die Albträume, an das neuerliche Durchleben der letzten Nacht mit Ray. Sie würde sich daran festklammern, es nicht vergessen. Während sie Gems verwirrte Züge musterte, wurde ihr klar, dass das Mädchen die Erfahrung im Gegensatz zu ihr loslassen musste. Wie sollte Gem damit leben? Wie würde es Joyce selbst gelingen?
    »Gem ...«
    Das Mädchen kam ihr auf halbem Weg entgegen. Die beiden fassten sich an den Händen.
    »Ich vergesse«, sagte Gem. »Wie kann ich vergessen?« Joyce drückte ihre Hände fester.
    »Das ist in Ordnung, Gem. Lass es los.«
    »Ich will nicht vergessen«, entgegnete Gem, doch aus ihrer unsteten Miene sprach etwas anderes. »Ich weiß nicht, wie ...«
    Plötzlich wurde ihr Gesicht bar jeden Ausdrucks, glatt wie es nur die Züge einer Sechzehnjährigen sein konnten. Sie bedachte die Watts’ mit einem Seitenblick. »Ich sollte gehen. Kann mir nicht vorstellen, dass mich die Nachbarn wirklich hier haben wollen.«
    Joyce versuchte, nicht so erleichtert zu wirken, wie sie sich fühlte. Sie klopfte dem Mädchen leicht auf die Schulter und ließ die Hand kurz liegen. »Gem, ich denke, es wäre am besten, wenn das, was geschehen ist – mit den Watts’, meine ich –, unter uns bleibt. Es ist zu persönlich.«
    »Alles klar.« Gem hob eine Hand zu einem gespielten Salut. »Ich kann ohnehin nicht behaupten, dass ich alles verstehe. Außer ...« Ein letztes Mal flackerte die Verwirrung auf. »Ach, egal. Geht mich nichts an. War schön, Sie wiederzusehen, Joyce.«
    Joyce ließ die Hand auf Gems Schulter. »Die Kirche in Westminster ist nur zehn Minuten entfernt. Hast du schon den Führerschein?«
    Gem nickte und errötete. »Sind Sie noch dort?«
    Joyce lächelte und ließ die Hand sinken. »Ja. Vorerst. Komm mich doch besuchen.«
    »Vielleicht«, gab Gem ein wenig zu schnell zurück. Dann fügte sie hinzu: »Aber haben Sie nicht gesagt, Sie wollten nach Südamerika?« Sie kniff die Augen zusammen, als schaue sie in die Sonne. »Wahrscheinlich doch nicht. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, erinnere ich mich nicht daran, dass Sie das gesagt haben.«
    »Oh, kann schon sein, dass ich etwas in der Art erwähnt habe«, gab Joyce zurück. »Aber ich werde noch eine Weile bleiben. Vielleicht können wir ja mal darüber reden.«
    Gem senkte den Blick. »Okay.«
    Joyce schaute zurück zu den Watts’. Ein bleierner Kummer nistete sich in ihr ein. Sie dachte an Ray, würde vermutlich nie wieder aufhören können, an ihn zu denken, und fragte sich, ob es klug sei, an dem festzuhalten, was ihnen allen an diesem Tag widerfahren war. Joyce schaute mit dem Wissen zur Tür, dass sie nie wieder hierher zurückkehren würde. Schon bevor die Finsternis gekommen war, hatte das Haus zu viele Erinnerungen enthalten. Und offenbar teilte es seine Bürde nur allzu bereitwillig, wenn es die Gelegenheit dazu erhielt. Der Gedanke lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Watts’. Deren Problem war im Augenblick vordringlicher als ihr eigenes.
    Seyha kniete einige Meter von ihrem Mann entfernt im Gras, ihm zugewandt, den Kopf wie er gesenkt. Joyce ertappte Bill dabei, wie er zwischen den Fingern hindurch zu seiner Frau spähte, ehe er wieder auf seine Füße hinabstarrte. Die beiden brauchten
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