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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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alkoholischer Nachwirkung, sie waren ins Gespräch gekommen. Alina betreute ein Schulprojekt, »Netz für Kids«, eine pädagogisch wertvolle Website, »das ist für die Firma eigentlich Pipi, weißt, aber die sind grad an EU-Knete rangekommen.«
    Als Bentner erwähnte, er sei Programmierer mit der Spezialität Multimedia und er kenne das Geschäft, war ihm Alina beinahe um den Hals gefallen. »Ey! Bist du noch zu haben?« Ein tiefer Blick in die Augen war dem gefolgt, gute Programmierer waren so selten wie guter Sex.
    Vielleicht hätten sie an diesem Abend miteinander geschlafen. Aber erstens war Bentner frisch verliebt, zweitens Alina zu betrunken, und wenn das alles nichts geholfen hätte (und es hätte nichts geholfen), dann erschien drittens der korrekte Mensch im Anzug, stellte sich zwischen Alina und Bentner, fixierte diesen und sagte: »Mach dich vom Acker, Junge.«
    Bentner tat es aus Prinzip nicht. Sie fixierten sich wie Faustkämpfer, ließen aber ihre Hände lässig in den Jackentaschen stecken. Alina lachte, der Mann drehte sich zu ihr um. »Und du?« Langweilige Frage, dachte Bentner. »Pass auf, was du sagst«, sagte Alina erstaunlich unfallfrei, »du kickst sonst unseren neuen Programmierer, bevor wir ihn haben.«
    Es war die Hochzeit der Internetblase, und wenn die Inhaber der IT-Klitschen ihre Töchter für einen fähigen Programmierer geopfert hätten, dann Claus Weidenfeld seine Alina allemal.
    Weidenfeld hatte sich im Laufe des Abends zwar als langweilig, keineswegs jedoch als unfreundlich entpuppt. Ein Buchhaltertyp, was passte, denn er war Buchhalter. Einer dieser Leute, die BWL studiert hatten, einer der gegelten und geschniegelten Menschen, denen man auf jedem Campus dieser Welt automatisch aus dem Weg geht.
    »Und momentan auch für die Personalpolitik zuständig, wenn du verstehst. Also? Interesse?«
    Bentner wusste es nicht. Er hangelte sich von einem Auftrag zum nächsten, ein Freelancer. »Erzählt mir ein bisschen von eurem Projekt.«
    Und sie – vor allem Alina – hatten erzählt. Dass sie in einer Firma arbeiteten, die eigentlich auf die Programmierung von Schaltkreisen für Industriemaschinen spezialisiert war, »wir sind da völlig isoliert, weißt, wir verwalten unsere Kohle selber, wir stellen ein, wen wir wollen«, ein Viererteam, das unter Mühen eine Website gebastelt hatte, die noch langweiliger als Weidenfeld sein mochte, was zwar kaum vorstellbar, im Internet jedoch Alltag war.
    »Wir haben den Inhalt, aber uns fehlt die Form, weißt. Es muss blinken und huschen, Sound und Bewegung, interaktiv, multi­medial … komm doch morgen mal vorbei und bring was von dir mit.«
    Er war vorbeigekommen. Er hatte etwas vorgeführt, das Alina zum Jauchzen brachte, so wie sie in der Nacht zuvor vielleicht gejauchzt hätte, wäre Weidenfeld nicht auf der Bildfläche erschienen. »Uh, das ist saucool!« Bentner seufzte. Nichts weiter als ein paar blinkende Lichter und über den Bildschirm stolpernde Männchen, blankes Routinecoden.
    Weidenfeld hatte nur genickt. »Sehr interessant.« Dann war Hans-Jürgen Gorland zur Arbeit erschienen, Grafiker und Künstler, wie alle Mitte, Ende Zwanzig. Die grafische Gestaltung von Bentners multimedialen Kunststückchen entlockte ihm jenen später so oft gesehenen Gesichtsausdruck, ein Mann, der gerade in mit Himbeermarmelade bestrichene Kernseife gebissen hat und das Ganze jetzt langsam zerkaut. »Aber technisch einwandfrei. Mal gespannt, was Michael dazu sagt.«
    Michael Sarkovy, der die Abteilung nach außen repräsentierte, mit Geldgebern, Evaluatoren, Schulen verhandelte, ein großer blonder Sunnyboy, der Bentner sofort auf den Rücken schlug, »super« sagte und erwähnte, das große Geld sei hier nicht drin, man werde nach dem Bundesangestelltentarif bezahlt, aber das Ganze sei eben Pionierarbeit, etwas für Idealisten. Bentner hatte Idealismus immer für eine Krankheit gehalten, doch er nahm den Job.
    Ein aufregendes Jahr folgte. Bentner war in eine Frau verliebt, die Olivia hieß, und weil es ihm bisher immer unmöglich erschienen war, sich in eine Frau namens Olivia zu verlieben, musste es wirklich Liebe sein. Eine Musikstudentin, die ihre Finger von den Saiten ihrer Geige nahm und fortan Bentner klassische Töne entlockte. Ausgiebige Telefonate am Morgen, Liebesgeflüster, das mit einer elend langen Fahrt von zehn Minuten im Bus endete, 6 Uhr, ungeduscht, Olivias Wohnung, ein rasanter Rausch, dann schweißnass zum Bahnhof und in den Zug, denn
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