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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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gefragt, ob es eine Durch­sage gegeben habe, denn der Zug hätte doch längst kommen müssen, aber nein, antwortete Bentner, tut mir leid, nichts gehört, und die junge Frau lächelte ihm zu und Bentner lächelte zurück. Sie arbeitete bei einer Versicherung (wie sie einmal ins Handy gesagt hatte: »Is langweilig bei der Versicherung, aber musst ja froh sein, wenn du überhaupt was findest«), kam etwa fünf Minuten nach Bentner, stellte sich drei Meter neben ihn, etwas weiter weg vom Gleis. Im Zug saßen sie meistens im selben Abteil, ihre Blicke trafen sich gelegentlich, sie war Anfang 20, Bentner damals Ende 20, Anfang 30, sie gefiel ihm, eine ganz gewöhnliche junge Frau, die sich irgendwann das Rauchen ab- und das Lesen von Kriminalromanen angewöhnt hatte, sich später auch während der 30 Minuten Fahrt von ihrem iPod beschallen ließ, und vielleicht war damit auch die theoretische Gelegenheit, mit ihr zu flirten, verpasst. Egal.
    Doch, ihm war die Dunkelheit lieber. Die Blicke aus dem Fenster des fahrenden Zuges in die Schwärze hinein, nichts lenkte ihn ab, nicht einmal die brachialen Schreie der Schulkinder, die nach und nach das Abteil enterten, sich Neuigkeiten zubrüllten und nach irgendwelchen »Franz-Aufgaben« fragten. Immer noch die paar Zeilen Code, ein pulsierendes Objekt in seinem Kopf.
    Bentner war längst unruhig geworden und verfluchte unplanmäßige Verzögerungen. Eine ältere, gehbehinderte Frau stieg umständlich in den Zug, eine ganze Klasse aufgeregter Zehnjähriger stand am Bahnsteig und freute sich auf einen Zoobesuch, eine Klassenfahrt ins Museum, einen langweiligen Wandertag. Macht endlich hin, drängte es in Bentner, verdammt, verdammt, schneller!
    Der liebe Gott ging den letzten dreiviertel Kilometer zu Fuß. Sah endlich das Gebäude vor sich, noch ein paar Schritte nur, er kramte den Schlüssel aus der Jackentasche, schloss auf, er würde der erste im Büro sein. Eine kostbare Stunde allein.
    Zu jeder Jahreszeit ließ Bentner die stickige Luft aus dem Korridor und dem kleinen Bürotrakt im zweiten Stock. Die anderen Etagen des Gebäudes standen leer. Glastüren mit den Namen in Konkurs gegangener Firmen der sogenannten New Economy, die plötzlich alt ausgesehen hatte, und noch immer, wahrscheinlich auf ewig, hing der Geruch heiß gelaufener Computer in der Wandfarbe, dem spärlichen verbliebenen Mobiliar. Er verbündete sich nachts mit der verbrauchten Atemluft, sammelte sich und verließ am Morgen das Gebäude durch die geöffneten Fenster, um sich im Lauf des Tages zurückzuschleichen und das Spiel von vorne zu beginnen.
    Bentner durchquerte den größten der drei Büroräume, betrat endlich seinen, den er mit Alina teilte, stellte die Aktentasche nachlässig an ein Tischbein, hatte schon die Hand am Rechner, drückte den Knopf durch.
    Und hörte die Musik. Hörte das Leben, sah die Lichter, grünes zuckendes   LED . Er atmete durch und lauschte der Arbeit des Betriebssystems. Rasch die Jacke oder den Mantel ausziehen, im Sommer ein Papiertaschentuch und sich den Schweiß von der Stirn wischen. Endlich erschien das Fenster für das Passwort, Bentner gab ihm die sieben Buchstaben und drei Zahlen. Für einen Moment wurde der Monitor dunkel, dann erschien das Foto von Stonehenge, ein Icon nach dem anderen tauchte auf, endlich auch das orangenfarbene, das, kaum erschienen, zwei schnelle Klicks bekam. Bentner lächelte und kochte Kaffee. Als er Wasser und Pulver eingefüllt, das Gerät eingeschaltet hatte und sich umdrehte, lag die Welt vor ihm.
    Vielleicht bestand sie an diesem Morgen nur aus der Zeichnung zweier Figuren, ein Junge und ein Mädchen darstellend, Figuren, wie man sie in lustigen Vorschulcomics findet, von Gorland mit der ihm eigenen gerümpften Nase lässig aufs Papier geworfen, von Bentner digitalisiert, dem Rest der Crew begutachtet und für gut befunden. Der Junge trug eine coole Sonnenbrille, einen schwarzen Jeansanzug und dito Turnschuhe, das Mädchen ein grünes Röckchen und eine Art Blume im Haar, an den Füßen bunte Sandalen. Beide lächelten.
    »Hübsch«, hatten alle – bis auf Hans-Jürgen Gorland selbst – gesagt, der jedoch hatte schief gegrinst und Bentner nur gefragt: »Was brauchst du?« Bentner überlegte kurz: »Ich brauche von beiden Frontal-, Rück- und Seitenansicht, drei Bilder für die Gehbewegungen, mindestens zwei für das Sprechen, einmal neutral, einmal lächelnd und – ja, vorerst genügt das. Ach ja: Eine Sprechblase bräuchte ich
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