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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut
Autoren: Astrid Geisler
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feurigorangen Sonnenuntergang.
    Da fällt mir der klein gedruckte Nutzerhinweis über dem Unterschriftenfeld auf: »Der Besitzer dieses Dokumentes ist berechtigt, sich seines Verstandes zu bedienen, Informationen zu produzieren, replizieren und konsumieren, sich frei und ohne Kontrolle zu entfalten – in Privatsphäre und Öffentlichkeit.« Ach, manchmal ist diese Partei schon eine spaßige Truppe. Und ich bin gespannt, ob ich das noch genauso sehe, wenn ich Sonntagnacht nach dem Bundesparteitag wieder zurück nach Berlin fahre.

23 »Es geht weiter mit grotesken Ansagen«
    23 »Es geht weiter mit grotesken Ansagen«
Beim Bundesparteitag in Bochum inszenieren sich 2000 Piraten ein Wochenende lang selbst – und treiben mich in die Flucht
    Dies könnte das wichtigste Ereignis des Jahres werden, der größte Tag, seit ich Piratin bin. Monatelang habe ich auf diesen Bundesparteitag hingearbeitet, habe mir in Gedanken ausgemalt, wie es sein wird, wenn wir vor Mitstreitern aus dem ganzen Land unsere Familieninitiative fürs Wahlprogramm vorstellen. Ich rechne längst nicht mehr damit, dass daraus etwas wird. Aber, wer weiß, vielleicht wendet dieses Wochenende meine Stimmung noch einmal. Vielleicht gibt es einen Zauber von Bochum, dem ich mich gar nicht entziehen kann. Mit dieser Hoffnung jedenfalls bin ich gestern Nachmittag am Berliner Alexanderplatz in den Sammelbus zum Parteitag gestiegen, habe acht Stunden lang verfolgt, wie meine Mitstreiter die Zeit tot-twitterten, und zwischendrin gelernt, dass Piraten an Raststätten gerne mal die Klos durch den Kindereingang entern und so die 70 Cent Toilettengebühr sparen.
    Doch wie soll mich hier in Bochum eine Begeisterung erfassen, die es nicht gibt? Ich sitze mit meiner Crew in einer kaum zu überblickenden Kongresshalle. Vor uns auf dem Tisch stehen Laptops dicht an dicht, dazwischen Steckdosen, Kabelverteiler und ein Gewirr aus Leitungen verschiedenster Länge, Stärke und Farbe. Auch ich habe als gute Piratin meinen Rechner dabei, aufgeklappt, angeschaltet und eingestöpselt. Die Buchse an meinen Füßen ist so riesig, als solle sie nebenher noch einen Baustellenkran mit Strom versorgen. Aber: Es gibt kein Internet! In der ganzen Halle nicht. Weder über Kabel noch drahtlos. »Unser Netzwerkteam arbeitet dran«, verkündet die Versammlungsleitung von der Bühne herunter. »Wir haben kein Netz«, wiederholt Denis halblaut und starrt ungläubig auf seinen Laptop-Monitor mit der Fehlermeldung.
    An unserem Prometheus-Tisch links vorne im Saal beginnt die Nachbarschaftshilfe. Anna zieht mir das 1471-Seiten-Dokument mit den Texten aller eingereichten Programmanträge von ihrer Festplatte auf meinen USB -Stick. »Willst du das vielleicht auch haben?«, frage ich Denis aufmunternd. Er nickt.
    Eigentlich könnten wir uns aber jetzt mal wieder abregen. Wenn sich alle schnell gegenseitig das Antragsbuch auf ihre Laptop-Festplatten schieben, ist das tote Netz in dem Bochumer Kongresszentrum nämlich überhaupt kein Problem. Im Gegenteil frage ich mich gerade, wozu die Piraten hier alle so dringend Internet brauchen. Zum Twittern? Um sich die Zeit mit Online-Computerspielen zu vertreiben? Weil sie es gar nicht mehr ohne Netz aushalten? Oder ist die imposante Laptop- und Kabelkulisse am Ende nur dafür da, bei den Fernsehzuschauern daheim in ihren Wohnzimmern das Klischee von der Internetpartei zu bedienen?
    Immerhin sind mehr als 200 Journalisten nach Bochum gekommen. Die Süddeutsche Zeitung hat gleich einen ganzen Jahrgang von Journalistenschülern für einen Liveticker vom Piratenparteitag eingespannt, Spiegel Online sendet ein »Minutenprotokoll«, Fernsehteams zoomen auf jeden Freak in der Halle. Selbst die Piratenpartei dürfte selten eine so geballte Aufmerksamkeit wie hier bekommen haben. Die Vorstandsmitglieder geben ein Interview nach dem anderen, um ihre Partei nach monatelanger Negativberichterstattung mal wieder besser aussehen zu lassen.
    Auf der Tagesordnung steht seit anderthalb Stunden ein Zweikampf, auf den wir uns schon vor Wochen in der Crew vorbereitet haben. Es geht um das wichtigste Thema dieses Parteitages: die Frage, wo die Piraten künftig wirtschaftspolitisch stehen werden. Doch weder der Grundsatzantrag des Berliner Piraten Jan Hemme noch jener seiner Kontrahentin Laura Dornheim hat die erforderliche Zweidrittelmehrheit bekommen.
    Nun bekommt Lauras Antrag noch eine Chance. Sie hat ihr Papier in Module unterteilt, genau wie wir seinerzeit unsere
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