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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut
Autoren: Astrid Geisler
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Anträgen gefallen, mit der beim Parteitag in Bochum zu rechnen sei. Schließlich darf ja bei den Piraten nicht nur jedes Mitglied persönlich zum Bundesparteitag kommen, sondern nebenbei selbst eine beliebige Zahl von Anträgen zu allen denkbaren Themen einreichen. Aber, wie die parteitagserfahrenen Piraten aus meiner Crew schon damals versicherten, dürften mehr als 50 bis 100 Anträge an einem Wochenende aus Zeitgründen kaum zu schaffen sein.
    Doch erst jetzt, beim Blick auf diese endlosen Tagesordnungstabellen, wurden mir die gnadenlosen Nebenwirkungen dieses radikal basisdemokratischen Parteitagskonzepts so richtig klar. Es fielen mitnichten nur die Nonsens-Vorschläge durchs Raster. Vermutlich dürften Dutzende Piratinnen und Piraten in diesem Moment enttäuscht feststellen, dass ihre monatelange, intensive Arbeit vorerst umsonst gewesen war. Zumindest im Falle unserer Familienpolitik-Offensive bedeuteten diese Tabellen: Das war’s dann wohl für Bochum.
    Ich saß vor meinem Laptop und wollte es nicht wahrhaben. Konnte es sein, dass ich vier Monate lang für nichts und wieder nichts an diesen Programmbausteinen gesessen hatte? Wieso war unsere Initiative bloß dermaßen unbeliebt?
    Okay, völlig abseitige Forderungen wie die »Einführung einer Bildungswährung 2.0 auf Basis einer geldfreien Komplementärwährung« waren noch weiter hinten als wir auf der Rangliste gelandet. Aber sogar ein Antrag für den Erhalt der Moore in Deutschland, der Vorschlag, die »Pille danach« künftig rezeptfrei zu vergeben oder die Idee, sämtliche homöopathischen Behandlungen aus den Leistungskatalogen der Krankenkassen zu streichen, hatten besser abgeschnitten als unser Vorhaben.
    Dabei hatte sogar Parteichef Bernd Schlömer vergangene Woche bei seinem Besuch in unserer Nachbar-Crew »Herz aus Gold« angedeutet, dass sich die Piratenpartei, wenn sie für Frauen attraktiver werden wolle, auch stärker um Themen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kümmern müsse. Damit hatte er meine Enttäuschung über den Abend immerhin ein bisschen abgefedert. Denn was Schlömer sonst noch so programmatisch durchschimmern ließ, klang für mich, als wäre ich wirklich in der falschen Partei. Hatte der Parteichef doch ein paar Sätze zuvor den Sozialstaat zum Auslaufmodell erklärt und angeregt, der Staat solle sich stattdessen auf »Daseinsvorsorge« beschränken und mehr auf Nachbarschaftshilfe setzen. War das sein Ernst? Ich war kurz davor zu gehen.
    Und nun das: Platz 431!
    Mein Bedürfnis, am nächsten Wochenende nach Bochum zu fahren, war binnen Sekunden verflogen. Kürzlich hatte ich, ehrlich gesagt, schon den dritten Bezirksparteitag dieses Jahres geschwänzt. Vorsätzlich. Zunächst war es mir eigentlich nur darum gegangen, nicht wieder stundenlang in der »Jägerklause« herumzusitzen, bis genügend Leute eingetrudelt waren, um endlich anfangen zu können. Dieses Mal wollte ich einfach auch mal cool sein, abwarten, bis ich gebraucht wurde – und fürs Zuspätkommen bejubelt werden. Doch als ich irgendwann am Sonntagnachmittag auf Twitter las, es hätten sich jetzt genügend Piraten akkreditiert, der Parteitag könne starten, da kam mir plötzlich eine noch bessere Idee: Ihr schafft das dieses Mal bestimmt auch ohne mich!
    Oh nein, wo ist denn jetzt der Briefumschlag von der Piratenpartei hin? Meine Tochter muss ihn weggetragen haben, während ich gerade die Einkaufstüte ausräumte. Verstehe, sie hat Malpapier gesucht. Jetzt ist das Kuvert mit grüner und roter Wachsmalfarbe bekritzelt. Ich sollte es wohl besser sofort öffnen, bevor es zu Papierschnipseln weiterverarbeitet wird.
    Unglaublich, meine Partei gratuliert mir: »Hallo Astrid, herzlichen Glückwunsch! Du hältst ihn nun in den Händen: Deinen Mitgliedsausweis! Wir freuen uns, dass du dich bei der Piratenpartei engagierst, und wünschen dir auch in Zukunft viel Spaß dabei.« Auch in Zukunft viel Spaß? Für einen kurzen Moment denke ich: Die wollen sich doch hoffentlich nicht über meinen Programmantragsflop lustig machen!
    Aber dann sehe ich das scheckkartengroße, orangefarbene Plastikkärtchen: Piratenpartei Deutschland, Astrid Geisler, Mitgliedsnummer 39.120.
    Ich drehe den Ausweis zwischen Daumen und Zeigefinger, rufe meinen Freund dazu: »Schau mal!« Selbst er, dem seit einer halben Ewigkeit nichts Freundliches mehr zu meiner Partei eingefallen ist, sagt bewundernd: »Oh, cool!« Dann tippt er auf die Rückseite. Ein Zweimaster segelt durch einen
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