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Pink Christmas (German Edition)

Pink Christmas (German Edition)

Titel: Pink Christmas (German Edition)
Autoren: Justin C. Skylark
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du hast noch ein gutes Stück vor dir, für das es sich lohnt, auf sich aufzupassen.“ Er räuspert sich wieder. „Du passt doch auf dich auf, oder?“
    „Klar“, antworte ich, noch bevor mir durch den Kopf geht, dass damit nicht unbedingt das Rauchen gemeint sein muss.
    „Du bist ein schlauer Kopf. Und dein Lebenspartner – sagt man das so? – der scheint auch schwer in Ordnung zu sein.“
    „Danke“, sage ich überrascht und verwirrt gleichermaßen.
    Dann schweigen wir wieder eine lange Zeit. Ich weiß nicht, ob wir jetzt zehn Minuten hier stehen oder schon dreißig. Irgendwann geht hinter uns die Tür auf und Mama kommt heraus. Sie hat Schals und Mützen und Handschuhe dabei, die sie wortlos verteilt.
    „Das ist Familie“, sagt Opa und lacht. „Man ist niemals allein.“
    „Wollt ihr nicht langsam hochkommen?“, fragt Mama. „Das Essen ist gleich fertig.“ Sie sieht mich unsicher an. „Dein – dein Henri kennt sich ja in der Küche aus.“
    Ich nicke. „Er kocht gern.“
    „Nimm dich vor Froschschenkeln in Acht!“, sagt Opa. „Ich habe einmal welche gehabt.“
    „Er kocht keine Froschschenkel und auch keine Schnecken“, lache ich.
    Mama fröstelt. „Was ist? Kommt ihr jetzt hoch?“
    „Einen Moment noch“, sagt Opa. „Ich muss noch etwas erzählen.“
    „Soll ich euch allein lassen?“
    „Nein.“ Opa zieht noch mal kräftig an der Zigarette. „Ich will mich bei dir entschuldigen.“
    „Mmh“, macht Mama.
    „Leon hat mich an eine Geschichte erinnert, die ich – die ich sehr gut – verdrängt habe. Ich hätte meine Wut nicht an dem Baum auslassen sollen. Aber manchmal macht man halt ...“
    „Schon gut.“ Meine Mutter legt ihren Arm um Opa.
    „Ich wollte ...“, fange ich an, weil ich mir wieder blöd vorkomme, weil ich so ein Palaver gemacht habe.
    „ Pscht! “, macht Opa. Plötzlich zittert er am ganzen Körper so stark, dass ich schon befürchte, er fällt jeden Moment in den Schnee.
    „Paps?“, fragt Mama besorgt.
    Aber Opa ignoriert sie. „Ich – ich habe mich lange gefragt, was Gott bedeutet und die Kirche. Als Kind mussten wir alle in die Kirche, wir mussten beten und viel auswendig lernen und es war ein Privileg, den Gottesdienst mit vorzubereiten.“ Opa hustet. „Ich habe das immer gern gemacht, auch wenn ich mir nie sicher war, ob es Gott überhaupt gibt. Und eines Tages wusste ich es dann.“
    „Was?“, fragt meine Mutter.
    „Dass es keinen Gott gibt.“ Opa nickt, als wolle er sich selbst bestätigen. „Mit zwölf war ich fest eingebunden als Messdiener, über zwei Jahre lang. Und in dieser Zeit habe ich gelernt, dass Gott überall ist, nur nicht in der Kirche.“
    „Ich verstehe das nicht“, sagt Mama, aber ich sehe ihrem Gesicht an, dass sie sehr wohl versteht, es nur nicht wahr haben will.
    „Diese ganzen Missbrauchsfälle, die in den letzten Jahren immer stärker öffentlich werden“, sagt Opa mit sehr leiser Stimme, „ich bin einer davon.“
    „O Gott!“ Meine Mutter hält sich wieder die Hände vor den Mund und fängt zu weinen an.
    „ O Gott !“, wiederholt Opa und schnippt den Zigarettenstummel in den Schneehaufen ein paar Meter weiter. Das ist jetzt sicher der vierte oder fünfte.
    Ich habe das Bedürfnis, meinen Opa in den Arm zu nehmen, ihn zu trösten. Aber völlig absurd traue ich mich nicht.
    Plötzlich fällt die Haustür zu. Mama ist hoch. Wortlos. Genauso fühle ich mich jetzt auch: wortlos und zum Weglaufen. Aber ich bleibe.
    „Darum habe ich geweint, weil ich wütend bin, Leon.“
    „Das verstehe ich. Ich bin auch wütend.“
    „Ja, sicherlich auch zurecht. Aber ich bin wütend auf mich selbst, weil ich nicht zu denjenigen gehöre, die den Mund aufmachen. Ich bin einer der vielen, die schweigsam schlucken und wegsehen. Und wenn ich ein Weihnachtsgeschenk heute bekomme, das ich wirklich gebrauchen kann, dann bist das du, ein Enkel, der die Welt nicht einfach so hinnimmt, sondern aufsteht und kämpft.“
    „Ich ...“ Meine Stimme versagt.
    „Ich habe nicht die Kraft, mich in eine Fernsehshow zu setzen und über mein Leben zu reden. Ich habe nicht mal die Kraft, eine solche Sendung anzusehen, wenn jemand anderes über ein ähnliches Schicksal spricht. Ich wünsche mir nur eine bessere Welt, bin aber zu schwach, etwas dafür zu tun. Und ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass andere diese Kraft für mich aufbringen. Als ich dich vorhin reden gehört habe, wusste ich, dass ich gar keine Hoffnung mehr brauche, weil ich jetzt
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