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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine
Autoren: Marie Hermanson
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Vorstellung von Ruth. Ich sah eine Frau mit langen schwarzen Haaren vor mir, die, die Augen geschlossen, auf ihrem Stuhl saß und Stürme und Gewitter prophezeite.
    Aber Ruth war eine muntere kleine Frau von etwa fünfundsiebzig Jahren, die ständig hin und her lief und ununterbrochen redete.
    Als ich kam, stand sie mit Agneta auf dem Hof und lud uns gleich zum Kaffeetrinken ein. Dazu servierte sie Unmengen von Plätzchen. Agneta hatte offenbar erzählt, daß ich kommen würde, denn in der Küche war der Tisch bereits gedeckt.
    »Bitte, greift zu«, sagte sie, und ihr schweigsamer Mann, Mutters Onkel, tunkte Kekse in den Kaffee und steckte sie dann mit einer schwungvollen, eingeübten Geste, kurz bevor sie sich in der Tasse auflösten, in den Mund.
    Wieder mußte ich, als der neue Verwandte, viele Fragen über mein bisheriges Leben beantworten. Ich antwortete höflich, dann stellte auch ich ein paar Fragen, denn ich fand, daß auch ich das Recht hatte, neugierig zu sein. Ich fragte Ruth, wie das eigentlich mit den Wettervorhersagen war. Es war doch etwas komplizierter, als ich gedacht hatte.
    »Ich träume nicht direkt vom Wetter. Meine Träume sind sehr verschieden. Oft träume ich von Tieren. Und ich muß den Traum dann deuten. Wenn ich von Wölfen, brüllenden Tigern oder anderen wilden Tieren träume, kommt ein richtiges Unwetter. Wenn es ruhig wird, dann träume ich … zum Beispiel von Schafen. Und wenn ich von Hühnern träume, die hin und her rennen und gackern, dann wird es unbeständig, und es ist mit plötzlichen Windböen und Schauern zu rechnen.«
    »Interessant«, sagte ich. »Und was hast du heute nacht geträumt, Tante Ruth?«
    Sie lachte.
    »Das habe ich vergessen. Ich muß die Träume sofort nach dem Aufwachen deuten, weil ich sie sonst vergesse, und jetzt, wo Hjalmar nicht mehr aufs Meer fährt, braucht er meine Wettervorhersagen nicht mehr.«
    Sie schaute ihren Mann liebevoll an, er beugte sich über die Kaffeetasse und steckte sich ein aufgeweichtes Vanilleherz in den Mund.
    »Wahrscheinlich hast du von einer Schafherde geträumt«, sagte ich und schaute über die Wiese, die in der Abendsonne lag.
    Das Wetter war die ganze letzte Woche wunderbar gewesen und sollte es laut Wettervorhersage auch bleiben.
    »So, jetzt möchte ich schwimmen gehen«, sagte Agneta ungeduldig. »Danke für den Kaffee.«
    Wir gingen über den Felsen zu einer Badestelle, die Agneta kannte. Agneta ließ sich vom Felsen ins Meer gleiten. Wir waren an der Außenseite der Insel und hatten das offene Meer vor uns.
    Ich war überhaupt nicht wasserscheu. Im Gegenteil, ich schwamm und tauchte ausgesprochen gern. Ganz nahe bei unserem Dorf gab es einen großen See mit Badeplatz und Sprungturm, und oben im Wald gab es kleine Seen und Teiche. Aber ich war nicht mehr im Salzwasser gewesen, seit ich als kleiner Junge mit meiner Mutter in der Badeanstalt war.
    Agneta schwamm weiter draußen. Die Sonne stand niedrig über dem Horizont und glänzte in ihren nassen Haaren.
    »Komm!« rief sie.
    Ich ging vorsichtig durch die Tangbüschel ins Wasser. Die Wasseroberfläche war ruhig und glatt wie dunkles Metall. Dann hörte der Fels unter mir auf, und ich machte ein paar Schwimmzüge. Es war kalt. Mein Herz flatterte.
    Die Angst, die Vater mir eingeimpft hatte, war noch nicht ganz verschwunden. Die Angst vor dem Salzwasser. Die Angst, daß sich mein Körper auflösen könnte wie in einem Säurebad. Daß ich es nicht vertrug. Daß ich platzen würde.
    Ich tauchte unter. Das salzige Wasser brannte zwar in meinen Augen, war aber gleichzeitig unglaublich erfrischend. Ich tauchte noch einmal.
    Ich löste mich nicht auf. Ich schwamm und tauchte, füllte meinen Mund mit Wasser und sprühte es in hohem Bogen wieder aus wie ein Meeresungeheuer.
    Das Salzwasser hatte einen merkwürdig belebenden Effekt. Es war, als hätte ich mein ganzes Leben im Halbschlaf verbracht und wäre jetzt erst richtig aufgewacht.
    Agneta war als Silhouette im Gegenlicht zu sehen. Hinter ihr breitete sich das Meer aus bis zum roten Horizont.
    Ich schwamm unter Wasser, packte Agneta am Schienbein, hörte ihren Schrei über mir, gedämpft und durch das Wasser verfremdet. Ich fühlte mich bärenstark und kerngesund. Wahnsinnig glücklich. Berauscht vom Salz.
    Mit einigen kräftigen Beinbewegungen kam ich nach oben, mein Kopf durchschnitt die Wasseroberfläche direkt neben ihr. Sie schaute mich erstaunt an und spritzte mir Wasser ins Gesicht, dabei lachte sie so fröhlich, daß
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