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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx
Autoren: Stanislaw Lem
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schon vor so langer Zeit von den Menschen an die Automaten übergegangen, daß dies als das Fundament, als die unerschütterliche Grundlage allen Handelns galt – eine Grundlage, die nun plötzlich unter den Füßen weggerutscht war. Keines der weniger abgesicherten und einfacheren Modelle hatte je versagt, wie also konnte dies einem so vervollkommneten und mit allen Sicherheitsvorkehrungen versehenen Exemplar passieren? Wenn das möglich war, dann war alles möglich. War erst einmal ein Zweifel an der Zuverlässigkeit der Anlage aufgekommen, so ließ sich das Mißtrauen nicht mehr eindämmen, und alles ging im Ungewissen unter.
    Inzwischen näherten sich »Ares« und »Anabis« dem Mars. Pirx saß da, als wäre er völlig allein, er war der Verzweiflung nahe. Gerade war ein klassischer Streit zwischen den Theoretikern entbrannt, der sie immer weiter von dem eigentlichen Geschehnis mit »Ariel« wegführte. Als Pirx in das fette und massige Gesicht van der Voyts schaute, der gutmütig die Beratungen leitete, entdeckte er in seinem Ausdruck gewisse Ähnlichkeiten mit der Physiognomie des alten Churchill: die gleiche scheinbare Zerstreutheit, die aber Lügen gestraft wurde durch das Zucken der Lippen. Sie verrieten ein inneres Lächeln, das einem unter den schweren Lidern verborgenen Gedanken galt. Was gestern noch undenkbar war, wurde jetzt wahrscheinlich – nämlich der Versuch, die Beratungen auf ein Verdikt hinzulenken, das alle Verantwortung einer höheren Gewalt zuschob, vielleicht gewissen bisher unbekannten Phänomenen, vielleicht einer Lücke in der Theorie, mit der Schlußfolgerung, daß in großem Maßstab auf Jahre geplante Untersuchungen in Angriff genommen werden müßten. Er kannte ähnliche Fälle, jedoch von kleineren Ausmaßen, und ihm war klar, welche Kräfte die Katastrophe mobilisiert haben mußte. Hinter den Kulissen waren schon hartnäckige Bemühungen um einen Kompromiß im Gange, zumal das im ganzen so bedrohte Projekt zu mehr als einem Zugeständnis bereit war um den Preis, Unterstützung zu erhalten. Und die konnte eben einzig und allein von den vereinigten Werften geleistet werden, sei es auch nur durch die Bereitstellung einer Flottille kleinerer Raumschiffe zu günstigen Bedingungen, damit die laufende Versorgung gesichert blieb. Verglichen mit der Höhe des Einsatzes – denn es ging bereits um die Existenz des ganzen Projekts –, wurde die Katastrophe zu einem nichtigen Hindernis, falls es nicht möglich war, sie unverzüglich aufzuklären. Andere Affären waren schon des öfteren einfach vom Tisch gewischt worden. Er, Pirx, hatte jedoch einen Trumpf in der Hand. Die Leute von der Erde hatten ihn akzeptiert, sie hatten ihr Einverständnis zu seiner Mitarbeit in der Kommission geben müssen, denn er war hier der einzige, der engere Beziehungen zu den Raketenbesatzungen hatte als irgendein anderer Anwesender. Er machte sich nichts vor: Das verdankte er weder seinem guten Namen noch seiner Kompetenz. In der Kommission wurde einfach unbedingt ein aktiver Kosmonaut gebraucht, ein Fachmann, der eben von Bord gegangen war. Van der Voyt rauchte seine Zigarre. Er wirkte allwissend, denn er schwieg wohlweislich. Sicherlich hätte er lieber jemand anderen an Pirx’ Stelle gesehen, aber den hatte der Teufel hergeführt, und es gab keinen Vorwand, ihn loszuwerden. Hätte er also bei einem nicht eindeutigen Verdikt sein Votum separatum abgegeben, würde er Aufsehen erregt haben. Die Presse witterte Skandale und lauerte nur auf eine solche Gelegenheit. Der Pilotenverband und der Klub der Transporter stellten zwar keine Macht dar, aber vieles hing von ihnen ab – die Leute hatten doch Verstand. Also wunderte sich Pirx keineswegs, als er in der Pause erfuhr, daß van der Voyt mit ihm sprechen wollte. Der Freund mächtiger Politiker eröffnete das Gespräch mit der launigen Bemerkung, dies sei ein Gipfeltreffen zweier Planeten. Pirx hatte zuweilen Einfälle, über die er sich hinterher selbst wunderte. Während van der Voyt seine Zigarre rauchte und sich die Kehle mit Bier befeuchtete, bat er um ein paar belegte Brote aus dem Büfett. Er hörte also dem Generaldirektor essend im Funkraum zu. Nichts war besser geeignet, sie einander gleichzustellen.
    Van der Voyt wußte nichts mehr davon, daß sie kurz zuvor aneinandergeraten waren. So etwas war einfach nicht passiert. Er teilte seine Sorge um die Besatzungen von »Anabis« und »Ares«; er vertraute ihm seinen Ärger an. Die Verantwortungslosigkeit
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