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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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nicht übertrieben zu sein für die Pastetchen, die man auf Spaziergängen ißt, für Veilchensträuße und Theaterbesuche. Eine Summe von zweihundert Franken wurde als notwendig erachtet für die außerordentlichen Ansprüche des Gaumens und die Diners, die man in den Restaurationen einnimmt.
    Sobald die Höhe der Ausgaben festgestellt war, mußte sie doch auch durch eine Einnahme gedeckt werden. Bei der Debatte darüber wurde ein junger Chevauleger – der König hatte damals, als diese Beratung stattfand, noch nicht seine roten Haustruppen aufgelöst – der durch den Champagnerwein ein bißchen ›ebriolus‹ geworden war, zur Ordnung gerufen, weil er Liebesleute mit Destillierapparaten zu vergleichen wagte. Aber ein Kapitel, das die heftigsten Debatten hervorrief, das sogar mehrere Wochen hindurch vertagt wurde und die Ernennung eines eigenen Berichterstatters notwendig machte, war das Kapitel der Geschenke. In der letzten Sitzung ergriff die zarte Frau von D. zuerst das Wort und suchte in einer anmutsvollen Rede, die für den Adel ihrer Gefühle ein schönes Zeugnis ablegte, nachzuweisen, daß den Geschenken der Liebe meistens ein innerer Wert nicht beikomme. Der Verfasser antwortete, es gebe keine Liebenden, die nicht ihr Bildnis anfertigen ließen. Eine Dame wandte dagegen ein, die Ausgabe für das Porträt sei nur eine einmalige Kapitalanlage, denn man versäume niemals, es zurückzufordern, um es von neuem in Kurs zu setzen. Plötzlich aber stand ein provenzalischer Edelmann auf, um eine Philippika gegen die Frauen zu halten. Er sprach von der die meisten verliebten Frauen verzehrenden unglaublich heißen Gier nach Pelzwerk, Seidenzeug, Stoffen, Schmucksachen und Möbeln; aber eine Dame unterbrach ihn mit der Frage, ob ihre intime Freundin, Frau von O...y, nicht bereits zweimal seine Schulden für ihn bezahlt hätte.
    »Sie irren sich, meine Gnädige!« versetzte der Provenzale, »das war ihr Gatte.«
    »Der Redner wird zur Ordnung gerufen«, rief der Präsident, »und wird dazu verurteilt, die ganze Versammlung zu bewirten, weil er das Wort ›Gatte‹ gebraucht hat.«
    Der Provenzale wurde in allen Punkten widerlegt durch eine Dame, die den Nachweis zu führen suchte, daß die Frauen in der Liebe einer viel größern Hingebung fähig seien als die Männer; daß die Liebhaber sehr viel Geld kosteten, und daß eine anständige Frau sich sehr glücklich schätzen würde, wenn sie jährlich auch nur mit einer Ausgabe von zweitausend Franken davonkäme. Die Debatte drohte in persönliche Bemerkungen auszuarten, als schließlich der Antrag auf Abstimmung gestellt wurde. Die Schlußfolgerungen der Kommission wurden von der Versammlung als richtig anerkannt. Sie gingen im wesentlichen dahin, daß die jährliche Ausgabe für gegenseitige Geschenke zwischen Liebesleuten auf fünfhundert Franken zu veranschlagen seien; in dieser Zahl seien jedoch inbegriffen: 1. die Ausgaben für Landpartien; 2. die Kosten der Medizinen für die Erkältungen, die man sich holte, indem man abends in den zu feuchten Parkwegen spazieren ging, oder indem man spät nachts vom Theater nach Hause käme; diese Erkältungen seien nämlich als richtige Geschenke anzusehen; 3. Briefporto und Ausgaben für Schreibzeug; 4. Reisen und allgemeine Unkosten, die etwa sonst bei der Berechnung übersehen sein sollten. Unberücksichtigt blieben jedoch etwaige törichte Ausgaben von Verschwendern, sintemalen es nach den Untersuchungen der Kommission feststände, daß derartige Verschwendung meistens nicht für verheiratete Frauen, sondern nur für Operntänzerinnen betrieben würde. Das Ergebnis dieser pekuniären Liebesstatistik lautete, daß, eins ins andere gerechnet, eine Leidenschaft jährlich etwa fünfzehnhundert Franken kostete; diese Ausgabe verteile sich auf die beiden Liebenden oft in sehr ungleicher Art, ohne deren Verhältnis aber würde es nicht stattfinden. Einstimmig stellte die Versammlung fest, daß diese Zahl das Mindestmaß der Jahreskosten einer Liebesleidenschaft bezeichnete. Da wir nun, mein werter Herr, durch die Berechnungen unserer Ehestatistik in den Betrachtungen I bis III unwiderleglich nachgewiesen haben, daß in Frankreich eine Durchschnittszahl von mindestens fünfzehnhunderttausend illegitimen Liebesverhältnissen vorhanden ist, so folgt daraus:
    daß zu der großen Umlaufsbewegung des Geldes dieses echten sozialen Blutes, für das das Staatsbudget die Stelle des Herzens vertritt – die unerlaubten Liebesverhältnisse
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