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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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ist der Faden, den er uns gereicht hat, damit wir mit ihm in Verbindung seien!«
    Plötzlich hielt er inne, das Auge zum Himmel aufgeschlagen.
    »Der arme Kerl hat den Verstand verloren,« dachte ich bei mir selber. Laut aber sagte ich: »Herr Marquis, es hieße die Vorliebe für eklektische Philosophie ein wenig zu weit treiben, wollte ich Ihre Ideen meinem Werke einverleiben – denn damit würde ich selber es zunichte machen. Es ist ganz und gar auf der Voraussetzung platonischer oder sinnlicher Liebe gegründet. Gott soll mich davor bewahren, mein Buch mit derartigen Lästerungen gegen alle gesellschaftlichen Einrichtungen zu beschließen. Lieber will ich versuchen, mit irgendeiner pantagruelistisch verschmitzten Wendung zu meiner Herde von Junggesellen und anständigen Frauen zurückzukehren, will mir alle Mühe geben, für ihre Leidenschaften und Torheiten irgendeinen gesellschaftlichen Nutzen oder Vernunftgrund als Vorwand ausfindig zu machen. Oh! oh! wenn der eheliche Friede uns zu derartigen Folgerungen führt, die unser Leben aller Illusionen entkleiden und allen Lichts – so kenne ich gar viele Ehemänner, die den Krieg vorziehen würden.«
    »Ah, junger Mann?« rief der alte Marquis, »wenigstens brauche ich mir keine Vorwürfe zu machen, daß ich es unterlassen habe, einem verirrten Wanderer den rechten Weg zu zeigen.«
    »Adieu, altes Gerippe!« sagte ich bei mir selber, »adieu, wandelndes Eheglück! adieu, abgebranntes Feuerwerk! adieu, altes Bühnendekorationsstück! Zwar habe ich dir manchmal Züge von Leuten gegeben, die mir teuer gewesen sind, habe alte Familienbilder benutzt – aber fort mit dir in die Trödelbude des Bilderhändlers! geh zu Frau von T. und all den andern. Werdet alle miteinander Wirtshausschilder – ist mir ganz gleichgültig!«

Schluß
    Ein Einsiedler, der mit dem zweiten Gesicht begabt zu sein glaubt, hatte dem Volke Israels gesagt, es möge mit ihm auf einen Berg gehen, um dort die Offenbarung einiger Geheimnisse zu vernehmen; er sah sich von einer Schar begleitet, die eine so beträchtliche Strecke Weges bedeckte, daß seine Eitelkeit – obwohl er ein Prophet war – dadurch gekitzelt wurde.
    Da aber sein Berg ziemlich weit entfernt war, so geschah es, daß bei der ersten Rast ein Handwerker sich erinnerte, daß er einem Herzog und Pair ein Paar Hausschuhe zu liefern habe; einer Frau fiel ein, daß der Brei für ihre Kinder auf dem Feuer stehe; und ein Zollpächter dachte daran, daß er Staatspapiere auf der Börse begeben müsse. Und sie gingen.
    Ein bißchen weiterhin blieben unter den Ölbäumen Liebespaare zurück und vergaßen der Reden des Propheten; denn sie waren der Meinung, das Gelobte Land sei da, wo sie weilten, und das göttliche Wort da, wo sie plauderten.
    Fettleibige mit Sanchoschen Bäuchen, die seit einer Viertelstunde sich die Stirn mit ihren Taschentüchern abwischten, begannen Durst zu bekommen und blieben bei einer klaren Quelle zurück.
    Einige frühere Soldaten klagten über Hühneraugen, die ihnen Nervenschmerzen machten, und sprachen von Austerlitz und engen Stiefeln.
    An der zweiten Haltestelle flüsterten einige Angehörige der guten Gesellschaft sich ins Ohr:
    »Aber dieser Prophet ist ja verrückt!«
    »Haben Sie ihn reden hören?«
    »Ich?! Ich bin nur aus Neugier gekommen.«
    »Und ich, weil ich sah, daß man ihm nachlief.« (Dieser letztere war ein Fashionable.)
    »Der Kerl ist ein Scharlatan.«
    Der Prophet ging rüstig weiter. Aber als er auf der Bergeshöhe angelangt war, von der man einen unermeßlichen Gesichtskreis überblickte, da wandte er sich um und sah bei sich nur einen einzigen armen Israeliten, zu dem er hätte sagen können, wie der Fürst von Ligne zu dem krummbeinigen kleinen Tambour, den er auf dem Platze fand, wo, wie er geglaubt hatte, die ganze Garnison ihn erwarten sollte:
    »Nun, meine Herren Leser, wie es scheint, sind Sie nur einer?«
    »Mann Gottes, der du mir bis hierher gefolgt bist! Ich hoffe, eine kurze Wiederholung der Hauptzüge wird dich nicht erschrecken; denn während dieser ganzen Reise bin ich überzeugt gewesen, daß du – genau wie ich selber – manchmal zu dir sagtest: ›Zum Teufel auch, wohin geraten wir denn eigentlich?‹«
    »Nun, mein ehrenwerter Leser, hier ist der rechte Ort, dich zu fragen, wie du über die Erneuerung des Tabakmonopols denkst, über die ungeheuerliche Besteuerung des Weins, des Waffentragens, des Spiels, der Lotterie und der Spielkarten, des Branntweins, der Seife, der
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