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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Liebe von allen unsern Freuden die geringste Stärke und die geringste Dauer. Denn worin soll die Lust der Liebe bestehen? Etwa im Besitze eines schönen Leibes? Für Geld können Sie an einem einzigen Abend sich wunderschöne Odalisken verschaffen; aber einen Monat später werden sie vielleicht jegliches Gefühl in Ihnen auf ewig abgetötet haben. Oder sollte irgendein anderer Grund vorliegen? Lieben Sie etwa eine Frau, weil sie gut gekleidet, elegant, reich ist? Weil sie in eigener Equipage fährt, weil sie Einfluß hat? Nennen Sie dies nicht Liebe – denn es ist nichts weiter als Eitelkeit, Habgier, Egoismus. Lieben Sie sie, weil sie geistreich ist? Dann geben Sie vielleicht einem literarischen Gefühl nach.«
    »Aber«, rief ich, »die Liebe enthüllt ihre Wonnen nur denen, die in ihrem Denken und Fühlen, in ihrem Schicksal, ihrer Seele, ihrem Leben eins werden ...«
    »Oh! Oh! Oh!« rief der alte Herr spöttisch – »finden Sie mir in jeder Nation nur sieben Männer, die einer Frau, ich will nicht sagen: ihr Leben geopfert haben – denn das ist nichts von Bedeutung; der höchste Preis, der unter Napoleon für ein Menschenleben gezahlt wurde, stieg nicht über zwanzigtausend Franken; und es sind in Frankreich in diesem Augenblick zweihundertfünfzigtausend Tapfere, die das ihrige für zwei Zoll rotes Band dahingehen – nein, aber zeigen Sie mir sieben Männer, die einer Frau zehn Millionen geopfert haben, auf denen sie auch nur eine einzige Nacht allein geschlafen haben! Dubreuil und Phméja sind noch weniger selten, als die Liebe zwischen Fräulein Dupuis und Bolingbroke. Also entspringen diese Gefühle einer unbekannten Ursache. Aber Sie haben mich hiermit darauf gebracht, den letzten Satz unseres Themas in Angriff zu nehmen und die Liebe als eine Leidenschaft zu betrachten. Nun, ich sage Ihnen: sie ist die letzte und verächtlichste von allen. Sie verspricht alles und hält nichts. Wie als Bedürfnis kommt auch als Leidenschaft die Liebe zuletzt und stirbt zuerst. Ah! Rache, Haß, Geiz, Spielsucht, Ehrgeiz, Fanatismus! In diesen Leidenschaften ist etwas Männliches; diese Gefühle sind unzerstörbar; sie veranlassen die von ihnen Beherrschten tagtäglich zu Opfern, die um der Liebe willen nur dann und wann einmal gebracht werden. – Aber, ich will Ihnen etwas sagen: schwören Sie jetzt der Liebe ganz und gar ab! Da haben Sie keine Scherereien, keine Sorgen, keine Unruhen mehr; da leiden Sie nicht mehr unter diesen kleinen Leidenschaften, durch die die menschlichen Kräfte vergeudet werden. Man lebt glücklich und ruhig; betrachtet man es vom sozialen Standpunkt, so kann man sagen: seine Macht ist unendlich viel größer und wirksamer. Dieses Lossagen von jenem eigentümlichen Etwas, Liebe genannt, ist die eigentliche Ursache der Macht aller Menschen, die auf Menschenmassen wirken. Aber das ist noch gar nichts! Oh, wenn Sie dann erst erkennen, mit welcher Zaubermacht ein solcher Mensch begabt ist, über welche Schätze geistiger Kraft er verfügt, welche körperliche Langlebigkeit er an sich selber entdeckt, wenn er jede Art menschlicher Leidenschaften von sich abgestreift hat und seine ganze Energie zugunsten seiner Seele aufwendet. Wenn Sie nur zwei Minuten lang die Reichtümer genießen könnten, die Gott den verständigen Menschen zuwendet, in deren Augen die Liebe ein flüchtiges Bedürfnis ist, dem man nur einmal sechs Monate lang nachgegeben zu haben braucht, als man zwanzig Jahre alt war; die er jenen Menschen zuwendet, die von den saftigen und unverdaulichen Beefsteaks der Normandie nichts wissen wollen, sondern sich von den reichlich sprossenden Wurzeln nähren und auf einer Streu von dürren Blättern schlafen, wie die Einsiedler der thebischen Wüste. Ah! nicht drei Sekunden lang würden Sie die Wolle der fünfzehn Merinos, die Ihre Hülle ist, auf Ihrem Leibe dulden! Sie würden Ihr Spazierstöckchen von sich werfen und würden von Stund an im Himmel wohnen. Da würden Sie die Liebe finden, die Sie im Erdenschlamm suchen; da würden Sie Konzerte von ganz anderm Wohllaut vernehmen, als die Rossinischen es sind, da würden Sie reinere Stimmen hören als die der Malebran ... Aber ich spreche davon wie ein Blinder und nur vom Hörensagen: wäre ich nicht so um 1791 herum nach Deutschland gegangen, ich würde von alledem nichts wissen. Ja, der Mensch ist zum Unendlichen berufen! Es lebt in ihm ein Instinkt, der ihn zu Gott ruft. Gott ist alles, gibt alles, macht alles vergessen, und der Gedanke
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