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Philosophenpunsch

Philosophenpunsch

Titel: Philosophenpunsch
Autoren: Hermann Bauer
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Geschenken ein Anliegen war. Aus Gewohnheit blieb er stets noch zur Bescherung der Familie Heller im Kaffeehaus, wo er dann auch ein schönes Packerl mit wertvollem Inhalt erhielt, verabschiedete sich aber immer beizeiten mit einem »Vielen Dank und fröhliche Weihnachten, wir sehen uns eh bald wieder, die Feiertäg gehen ja auch einmal vorbei.« Damit zog er sich in die Heiligkeit seiner eigenen vier Wände zurück.
    »Zu Weihnachten kommen die Menschen zusammen, um sich zu zeigen, wie viel sie einander bedeuten«, machte ihn Frau Heller jetzt aufmerksam.
    »Diese Ansicht kann ich nicht mit Ihnen teilen«, erwiderte Leopold. »Die meisten Menschen, die zu Weihnachten zusammenkommen, mögen einander nicht, müssen aber so tun als ob und lieb zueinander sein. Und das bietet natürlich ungeahnte Möglichkeiten für Streitigkeiten, Aggressionen und verdeckten Hass, bis zu dem Punkt, wo einer einfach beschließt, den anderen auszulöschen, weil er sein Gesicht nicht mehr sehen kann. In Weihnachten steckt ein geradezu ungeahntes Potenzial für Verbrechen, wenn Sie mich fragen!«
    »Das habe ich geahnt, dass Sie nicht nur hinter jeder Ecke, sondern auch hinter jedem Christbaum einen Mörder lauern sehen. Das ist bei Ihnen schon chronisch«, schüttelte Frau Heller den Kopf. »Aber ich werde mir meine gute Laune nicht von Ihren griesgrämigen Bemerkungen verderben lassen, Leopold. Ich kann auch nichts dafür, dass Sie höchstwahrscheinlich wieder einmal niemanden haben, der das Fest mit Ihnen feiert.«
    »Das ist es nicht«, verteidigte sich Leopold. »Sie schätzen die Lage leider völlig falsch ein. Sie wollen nicht einsehen, dass gerade der Zwang zur Nähe und zum friedlichen Umgang miteinander, der von Weihnachten ausgeht, zur Gewalt führt. Schauen Sie sich doch die ganzen Weihnachtsfeiern an, zum Teil auch die in unserem Lokal: Zuerst schenken sich die Leute etwas, dann trinken sie, dann fangen sie an zu streiten, und dann fliegen die Fetzen.«
    Leopold erinnerte sich an eine derartige Weihnachtsfeier, bei der sich ein junger Angestellter in betrunkenem Zustand seinem Chef gegenüber zu viel herausgenommen hatte und von diesem dafür auf äußerst entwürdigende Art vor der restlichen Belegschaft bloßgestellt worden war. Beinahe wäre es daraufhin zu Handgreiflichkeiten gekommen. Herr Heller hatte die Angelegenheit schnell unter Kontrolle gehabt, aber ein unguter Nachgeschmack war bei allen Beteiligten und Gästen geblieben.
    »Wenn Sie die Feier der Firma Elektro-Hahn meinen, so war das eine Ausnahme«, beeilte sich Frau Heller zu bemerken. »Ansonsten verlaufen die vorweihnachtlichen Feste bei uns ausgesprochen harmonisch. Heute kommt zum Beispiel die Bekleidungsfirma Frick, und unser Philosophenzirkel hat die letzte Diskussionsrunde vor dem Heiligen Abend. Ich verspreche Ihnen, es wird geradezu idyllisch.«
    Idyllisch! Mit einem solchen Wort konnte man Leopold vertreiben. Es war so nichtssagend, so ohne Ecken und Kanten. Es klang nach barockem Schäferroman und hatte mit der Wirklichkeit etwa so viel zu tun wie die Fernsehverfilmung eines Buches von Rosamunde Pilcher. Gerade deshalb schien es seiner Chefin offenbar zu gefallen. Ihn würde jedenfalls am heutigen Abend alles andere als eine Idylle erwarten. Seinem Kollegen Waldemar ›Waldi‹ Waldbauer war nämlich die Herrenbekleidungsfirma zugeteilt worden wie jedes Jahr. Dort würde er wieder verkrampft höflich herumscharwenzeln und sich ein einigermaßen anständiges Trinkgeld holen. Ihm, Leopold, blieben damit die Philosophen, wo man aufpassen musste, dass die Leute die spärliche Anzahl an Getränken, die man ihnen an den Tisch servieren durfte, auch wirklich bezahlten. Auf Trinkgeld zu hoffen, war in diesem Fall äußerst verwegen. Schon jetzt kam sich Leopold vor wie das arme Jesulein in der Krippe im Stall, aber ohne Aussicht auf die Heiligen Drei Könige und ihre Geschenke.
    Dabei hatte er im Laufe der Zeit einige Sympathien für den Philosophenzirkel entwickelt. Eigentlich war der Begriff ein liebevoller Ausdruck für eine Gruppe einsamer Menschen, die nach und nach durch lebhafte Diskussionen im Café Heller zueinander gefunden hatten. Begonnen hatte alles mit einem Mann und einer Frau, die ein Problem gewälzt und von allen möglichen Seiten betrachtet hatten. Das Gespräch hatte einen älteren Herrn angelockt – ob wegen der Frau oder wegen des aktuellen Themas, wurde nie ganz geklärt – und in dieser Tonart ging es weiter. »Darf ich mich kurz zu
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