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Philosophenpunsch

Philosophenpunsch

Titel: Philosophenpunsch
Autoren: Hermann Bauer
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Ihnen setzen?« – »Entschuldigen Sie, aber meiner Meinung nach verhält sich die Sache ganz anders.« – »Wenn ich mir einen kleinen, bescheidenen Einwand erlauben dürfte.« – Mit der Zeit waren noch ein paar neue Menschen dazugestoßen, die sonst allein saßen und von denen man bisher nie genau gewusst hatte, was sie dachten, wenn sie fortwährend gedankenverloren in die Luft starrten. Man begann, sich in der Gruppe wohlzufühlen, die rasch auf eine Größe von etwa acht Teilnehmern anwuchs, und traf sich nun regelmäßig. Auch Leopolds Freund Thomas Korber, Lehrer für Deutsch und Englisch am benachbarten Gymnasium, war bereits Mitglied des Zirkels. So hörte Leopold dem Disput gern zu, wann immer er konnte, die Philosophen wiederum beanspruchten ihn als ihren ›Stammober‹. Schade nur, dass diese gegenseitige Zuneigung an Tagen wie heute mit empfindlichen materiellen Einbußen verbunden war.
    Da blieb Leopold nichts anderes übrig, als sich manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, zu trösten, indem er ehrfurchtsvoll hinauf in die luftigen Höhen oberhalb der Theke blickte, von wo ein stattlicher Adventkranz herunterleuchtete, an dem bereits drei Kerzen brannten und auf diese Art und Weise das Nahen der Geburt Christi verkündeten. Es war ein schöner, ein herrschaftlicher Kranz, der das gesamte u-förmige Lokal zu überblicken schien: den großen hinteren Teil mit den Kartentischen, der noch ein wenig dahinschlummerte, die drei Billardtische in der Mitte, an derem mittleren bereits eine Partie gespielt wurde, sowie den vorderen Bereich mit den runden Tischen, kleinen Logen und Fensterplätzen, in dem die meisten Gäste jetzt mit Kaffeetrinken und dem Lesen von Zeitungen beschäftigt waren und das taten, was sie im übrigen Kaffeehaus nicht mehr tun durften – sie rauchten. Es war ein Kranz, der sofort die Aufmerksamkeit jedes Eintretenden auf sich zog und ihn zu einem kurzen, demutsvollen Nicken nötigte. Wenn alles gut ging, konnte Leopold dann nach einigen bescheidenen Hinweisen auf die lange Tradition dieses Kranzes, seine Besonderheiten und seine Vorzüge gegenüber allen anderen Adventkränzen der Umgebung von Menschen, die guten Willens waren, eine kleine Kranzspende einstecken und seinen Etat damit ein wenig aufbessern.
    Mehr traute er sich von Weihnachten ja gar nicht zu verlangen.
     
    *
     
    Frau Heller stand jetzt bei den Billardtischen, wo sich ein Mann mit leicht ergrautem Haar, der mit seinem weißen Kittel aussah wie ein Apotheker in der Mittagspause, allein im Karambolespiel übte. Sie schaute nachdenklich zum Fenster hinaus. Sie wartete immer noch auf Schnee.
    Leopold dachte aus einem anderen Grund nach. Er wartete auf seinen Freund Thomas Korber, der bald kommen musste, um wie beinahe jeden Tag nach der Schule einen großen Braunen zu trinken und ein wenig mit ihm zu plauschen. Dabei hatte sich Leopold vorgenommen, diesmal ein heikles Thema anzuschneiden.
    Er wusste, dass Thomas Korber mit ziemlicher Sicherheit den Heiligen Abend so wie er allein verbringen würde. Die letzten Jahre schon hatten beide Weihnachten still und zurückgezogen, jeder für sich, gefeiert, keinem war es aber jemals eingefallen, den anderen zu fragen, ob man sich nicht einmal unter dem Motto ›gemeinsam statt einsam‹ an diesem Tag zusammensetzen wolle. Warum, wussten die zwei wohl selbst nicht. Leopold konnte immerhin für sich ins Treffen führen, dass er Korbers kompliziertes Liebesleben genau kannte. Da war man auch zu Weihnachten nie vor einer Überraschung sicher.
    Aber was sprach eigentlich sonst gegen einen Heiligen Abend zu zweit? Man konnte eine Kleinigkeit essen, gemeinsam etwas trinken und so die Zeit verstreichen lassen. Man brauchte den dummen Fernsehapparat nicht aufzudrehen. Man schaute nicht auf die Uhr, wann es endlich Zeit war, zu Bett zu gehen. Andererseits würde es keinem der beiden leichtfallen, einen solchen Schritt zu setzen, auch wenn Thomas und er schon lange gute Freunde waren. Es gehörte ein gewisses Maß an Überwindung dazu, die alten, eingefahrenen Wege zu verlassen. Dann musste man sich auch noch einigen, in welcher der beiden Wohnungen das Ganze stattfinden sollte, und so weiter, und so weiter.
    Darum scharwenzelte Leopold jetzt auch ein wenig nervös zwischen den Tischen hin und her, brachte einen Tee hierhin und eine Melange dorthin und immer wieder ein frisches Glas Wasser zu einem jungen Mädchen, das allein an einem Tisch beim Fenster saß, fahrig in den Zeitungen
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