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Pesch, Helmut W.

Pesch, Helmut W.

Titel: Pesch, Helmut W.
Autoren: Die Kinder der Nibelungen
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völlig ruhig über der Mitte des Schachts. Er sah in die Tiefe.
    »Jetzt ganz langsam das Seil abrollen«, sagte er, den Blick immer noch nach unten gewandt. »Langsam, sehr langsam.«
    Die Winde knirschte; sie war vielleicht mal gut geölt gewesen, aber durch das fehlende Dach war die Schmiere längst verdunstet oder vom Regen ausgewaschen worden. So hatten es die Geschwister beim Abrollen leichter, doch Hagens Gewicht zog arg an ihnen.
    Stück um Stück ließen sie das Seil nach, bis Hagen völlig im Brunnenschacht verschwunden war.
    »Hier unten stinkt’s!«, hallte seine Stimme aus der Tiefe. »Weiter!«
    Danach schwieg er, und Siggi und Gunhild kamen mächtig ins Schwitzen, aber sie ließen das Seil weiter gleichmäßig nach.
    »Halt!«, brüllte Hagen plötzlich. Gunhild und Siggi stoppten die Winde und erhielten so einen ersten Vorgeschmack darauf, wie es sein würde, wenn sie ihren Freund wieder rausziehen mussten.
    »Ich hab’s gefunden! Holt mich wieder rauf!«, kam die Anweisung von unten.
    Siggi und Gunhild sahen sich an. Die Stimme klang so völlig anders als vorher. Musste der Hall sein.
    Mit vereinten Kräften kurbelten sie das Seil Zentimeter für Zentimeter wieder nach oben. Siggi schmerzten die Muskeln im Oberarm. Auch Gunhild, die weit sportlicher war als er, spürte die Anstrengung. Ihr Atem ging stoßweise.
    Irgendwann, Siggi glaubte, es seien Stunden vergangen, tauchte Hagens schwarzer Schopf wieder über dem Rand des Brunnens auf.
    Der Anblick des Freundes mobilisierte bei den beiden die letzten Kräfte. Sie zerrten an der Winde, als ginge es um ihr Leben.
    Hagen kam ihnen zur Hilfe. Kaum war er bis zu den Schultern aus dem Schacht wieder aufgetaucht, griff er nach dem Brunnenrand und zog sich hinauf. Triumphierend fuhr seine Hand in die Tasche seiner Shorts.
    Die Geschwister standen schnaufend da und sahen zu ihm auf.
    Siggi und Gunhild hing die Zunge aus dem Hals, die Muskeln in Armen, Beinen und Bauch flatterten ihnen, und der Schweiß floss in Strömen.
    »Was … hast du da unten gefunden?«, keuchte Gunhild.
    Hagen sprang vom Brunnenrand, kam federnd auf. Er streckte die zur Faust geballte Hand aus und drehte sie so, dass die Finger nach oben zeigten.
    »Seht her!« Hagens Stimme hallte, als käme sie noch aus dem Brunnen. Es lag etwas Stolzes, ja, Abweisendes in diesem Klang und in seiner Haltung, als sei er als ein völlig anderer aus dem Brunnen wieder aufgetaucht; so erschien es zumindest.
    Er öffnete die Hand. Gunhild und Siggi, wieder zu Atem gekommen, traten neugierig näher.
    Auf der geöffneten Handfläche lag ein goldener Ring!
    Sie besahen sich das Beutestück näher. Der Ring sah massiv und schwer aus. Er war golden, fast gelb, als wäre er aus reinem Gold, ohne jede Beimischung von anderen Metallen. Der Ring war von innen und außen glatt, ohne Inschrift oder Markierung.

    »Ist der echt?«, fragte Gunhild.
    »Weiß nicht…«, antwortete Hagen, der ebenso wie Siggi und seine Schwester den Blick nicht von den Ring nehmen konnte. »Wir werden es herausfinden.«
    »Eigentlich habe ich ihn ja zuerst gesehen«, sagte Siggi, und diesmal hatte seine Stimme jenen seltsamen Klang, als würde ein anderer durch ihn sprechen.
    Es war, als ginge ein Ruck durch Hagens Körper. Seine Haltung straffte sich, und er richtete sich auf. Er tat, als hätte Siggi gerade etwas gesagt, das ungehörig, ja, feindselig war.
    Gunhild war es unheimlich zumute, als Hagen auf der einen und Siggi auf der anderen Seite sich so gegenüberstanden. Einen Moment sah es wieder so aus, als es gleich zu einer Schlägerei kommen.
    »Kommt«, sagte sie. »Kein Grund, sich zu streiten.«
    Siggi wich einen Schritt zurück. Hagen wollte auf ihn zutreten, überlegte es sich dann aber doch anders.
    »Wahrscheinlich ist er sowieso nichts wert.« Mit diesen Worten schloss er die Faust und ließ den Ring wieder in der Tasche seiner Shorts verschwinden. Dann lachte er – ein Lachen, das befreiend wirkte, und in das Siggi und Gunhild einfielen.
    Hagen nahm sein Taschentuch und wischte sich die Hände ab und stopfte es dann zu dem Ring in die Hosentasche.
    Von einen Augenblick zum anderen hatte sich die Stimmung ge-
    ändert. Alle wirkten gelöst und fröhlich, und es war, als wäre es nie anders gewesen …
    »Wir müssen los«, sagte Siggi. »Wir sind ohnehin schon zu spät dran.«
    »Aber nicht viel, kleiner Bruder«, lachte Gunhild. »Auf fünf Minuten kommt’s jetzt nicht mehr an.«
    »Sind eure Eltern so streng?
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