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Pesch, Helmut W.

Pesch, Helmut W.

Titel: Pesch, Helmut W.
Autoren: Die Kinder der Nibelungen
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im Gesicht geschrieben.

    Er schien eine Idee zu haben, um an das blitzende Ding zu gelangen, die den anderen bislang nicht gekommen war.
    »Seht her!«, verkündete er stolz. »Alles, was wir brauchen, hängt direkt vor uns.«
    Bei diesen Worten griff er das Seil, und mit einigen schnellen Bewegungen hatte er eine Schlinge geknüpft. Wie eine Trophäe hielt er sie in die Höhe.
    »Ich stelle meinen Fuß in die Schlinge, und ihr lasst mich hinunter. Dann werden wir bald wissen, was da unten blinkt.«
    »Nein«, sagte Siggi bestimmt. »Das ist zu gefährlich. Das Seil ist uralt. Was ist, wenn es reißt? Und wenn du abrutschst? Keiner von uns weiß, wie tief das Wasser da unten ist. Vati macht uns die Höl-le heiß …«
    »Er braucht es ja nicht zu erfahren«, meinte Hagen.
    »Aber wenn wir dich nicht halten können oder du reinfällst …«, versuchte Siggi einen weiteren Einwand.
    »Es könnte gehen«, sagte Gunhild da zu ihrer eigenen Überraschung. »Klar, es könnte gehen. Hält denn der Knoten?«
    »Klar hält der Knoten. Das ist ein Seemannsknoten. Mein Vater ist bei der Royal Navy, er hat ihn mir gezeigt. Und das Seil ist stark genug, seht doch selbst.« Hagens Stimme war voller Überzeugung.
    »Und je länger wir warten, desto mehr Zeit verschwenden wir.
    Wenn ihr mich gleich runterlasst, dann können wir hier schon bald verschwinden.«
    »Also gut«, sagte Gunhild. »So machen wir’s!« Siggi kannte den Tonfall nur zu gut. Wenn seine Schwester so sprach, hatte er keine Möglichkeit mehr, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Alle Blicke richteten sich auf ihn, und er wollte nicht kneifen. Nein, er durfte nicht kneifen. Er musste mitmachen, egal, ob ihm die Sache gefiel oder nicht. Das hier war die Nagelprobe für ihre Freundschaft und wenn er da nicht mitmachte, war alles kaputt, was sich in den letzten Stunden zu entwickeln begonnen hatte.

    »Also gut«, sagte auch er. »Probieren wir’s.« Damit war die Sache abgemacht. Siggi und Gunhild gingen an die Winde und warteten darauf, dass Hagen auf den Sims kletterte. Die Geschwister sahen sich an. Gunhild grinste. Sie liebte das Spiel mit dem Risiko. Das Mädchen erkannte die Zweifel im Blick ihres Bruders; sie wusste genau, dass er normalerweise zu vorsichtig war, um bei solchen Mut-proben mitzumachen.
    Wahrscheinlich war das blitzende Ding irgendein wertloser Kram wie der Ring einer Cola-Dose oder was immer irgendwelche ver-sprengten Touristen in den Brunnen geworfen hatten. Aber der Spaß an solchen Abenteuern lag Gunhild im Blut, und oft hatten ihre Eltern – halb im Scherz, halb im Ernst – sich gefragt, wer denn nun der Junge in der Familie war, Siggi oder Gunhild.
    »Wird schon schief gehen«, sagte sie aufmunternd zu ihrem Bruder.
    Hagen war sehr schnell auf dem Sims. Er lugte in die Tiefe.
    »So«, begann Hagen, »jetzt kommt der schwierige Teil. Haltet die Winde gut fest; stemmt euch richtig dagegen. Ich stelle mich in die Schlinge. Ihr müsst mich halten. Und dann ganz vorsichtig das Seil lockerlassen.«
    »Gut«, sagte Gunhild. »Auf drei geht’s los!«
    »A one …«, zählte Hagen.
    Gunhild und Siggi griffen nach der Winde. Das Holz war gut zu packen und überhaupt nicht rau. Sie würden sie bei der ganzen Aktion zumindest keine Splitter in die Hände reißen und Hagen gefährden, weil sie durch den Schmerz die Winde losließen.
    Eine Gefahr weniger, schoss es Siggi durch den Kopf.
    »… a two …«, sagte der Junge aus England völlig ruhig.
    Die beiden Geschwister spannten die Muskeln an, stemmten ihre Fersen in die Erde und packten fester zu. Jetzt wurde es spannend.
    Hagen atmete noch mal tief durch; auch ihm schien die Sache nicht ganz geheuer zu sein, und für einen Moment überkam Siggi die wilde Hoffnung, ihr neuer Freund würde aufgeben. Aber er wurde enttäuscht.
    »…a three«, zählte Hagen, und sein rechter Fuß trat in die Schlinge. Das Seil pendelte hin und her.
    Gunhild und Siggi mussten sich mit aller Macht gegen die Winde stemmen, die den Gesetzen der Physik folgen und sich mit Macht drehen wollte, um das Gewicht am Ende des Seils in die Tiefe rau-schen zu lassen.
    »Wir haben dich«, presste Gunhild hervor. Hagen war, obwohl älter, einen halben Kopf kleiner als Siggi und wohl auch ein wenig leichter, aber irgendwie schien jedes Pfund, das er auf die Waage brachte, doppelt schwer zu wiegen. Siggi keuchte, aber er und seine Schwester hatten alles unter Kontrolle. Bis jetzt.
    Das Seil war zur Ruhe gekommen und Hagen hing nun
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