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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden
Autoren: P Probst
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Amok-Gewerkschaft?« Außerdem verfasste Engler eigene Pressetexte und schlug sie Kurella zur Veröffentlichung vor, darunter: ›Rentner erleidet Herzinfarkt am Bahnhof. – Zug fährt nicht, Behinderter erfriert am Bahnsteig. – Schwangere kommt nicht rechtzeitig in Klinik, Baby auf Bahnhofstoilette geboren.‹
     
    Schwarz drehte den Schreibtischstuhl zum Fenster. Die Landsberger Straße lag im Zwielicht der frühen Morgendämmerung. Bald würden unten im Imbiss die Vorbereitungen beginnen. Meistens wurden als Erstes die Messer geschliffen. Das wusste Schwarz, weil Jo sich vor einiger Zeit eine nicht gerade geräuscharme, elektrische Schleifmaschine zugelegt hatte.
    Er versuchte, sich über die Bedeutung seiner Entdeckung klar zu werden. Ein Dreivierteljahr nach dem Ende des Streiks am 17.   November 2007 war vermutlich kaum mehr zu klären, ob und wie sehr Thomas Englers Machenschaften der Sache der Lokführer tatsächlich geschadet hatten. Am Ende hatte die Gewerkschaft die meisten ihrer Ziele durchgesetzt,vor allem einen eigenen Tarifvertrag, die überfällige Lohnerhöhung und eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 41 auf 40   Stunden.
    Schwarz erinnerte sich an das Gespräch mit Engler über den Streik und den angeblichen Sympathieverlust der Lokführer bei der Bevölkerung. Es war unglaublich, wie perfekt dieser dabei seine wahren Gefühle und die Angst, der Schwindel könne doch noch auffliegen, kaschiert hatte. Der Mann, der monatelang mit großer krimineller Energie die Stimmung in der Bevölkerung manipuliert hatte, tat so, als wäre er stets nur um sachliche Aufklärung bemüht gewesen.

55.
    Schwarz wachte mit einem eigenartigen Geruch in der Nase auf. Außerdem erinnerte er sich beim besten Willen nicht mehr, warum er von seinem Schreibtischstuhl nicht ins Bett, sondern in seinen Deckchair gewechselt hatte. Vermutlich hatte er nicht schlafen, sondern weiter über den Fall Engler nachdenken wollen – einen Fall, der ihn wie lange keiner mehr in Atem hielt, obwohl ihm der Ermittlungsauftrag längst entzogen worden war.
    Was war das bloß für ein Geruch?
    »Na, ausgeschlafen?«
    Seine Mutter stand am Herd.
    »Wie spät ist es?«
    »Nicht spät für einen, der nachts arbeitet und tagsüber schläft.«
    »Soll das ein Vorwurf sein?«
    »Nur eine Feststellung.«
    »Mama, meine Fälle richten sich nicht nach der Uhr.«
    Sie wischte ihre Hände an der Schürze ab und kam näher. »Geht’s dir nicht gut?«
    Er seufzte.
    »Hast du die Geschichte immer noch nicht geklärt?«
    »Sag mir doch bitte, wie spät es ist.«
    »Gleich elf.«
    »Elf?« Er sprang auf.
    »Ich habe Kaffee gemacht.«
    Er schnupperte an sich. »Erst muss ich duschen.«
    »Das bist nicht du.«
    »Nicht ich? Wer denn sonst?«
    »Ich.«
    »Bitte?«
    Sie lachte. »Ich mache Kasche.«
    »Kasche?«
    »Einen Buchweizenbrei. Das Lieblingsessen meiner Mutter.
Zi Kasche braucht men nit kajne Zähn
«, hat sie immer gesagt.
    »Es riecht schrecklich – so muffig.«
    »Du bist ein gojischer Banause, Tonele, und wirst es immer bleiben.«
    »Ich springe trotzdem schnell unter die Dusche.«
    Zehn Minuten später trug Schwarz eine saubere schwarze Jeans und ein gebügeltes blaues Hemd. An der Wohnungstür hielt seine Mutter ihm die geklaute Espressotasse aus Grado hin. Er trank den Kaffee in einem Schluck aus.
    »Willst du nichts frühstücken, Tonele?«
    Er schüttelte den Kopf.
     
    Er wählte den kürzesten Weg nach Milbertshofen, wäre aber, weil er am Frankfurter Ring in einen Stau geriet, beinahe zu spät gekommen. Rudi Engler hatte die Türen seiner Ausstellung schon geschlossen und wollte in die Mittagspause.
    »Herr Engler, hätten Sie kurz Zeit?«
    »Aber ja. Kommen Sie.« Er führte ihn zu einem Innenhof hinter der historischen Halle, wo einige Biertische und Bänke standen. Aber keiner setzte sich.
    »Wie geht es Ihrem Sohn, Herr Engler?«
    »Ganz gut. Ich habe ihn mit Anna aus der Klinik geholt. Die beiden wollen es noch mal miteinander versuchen. Und ich habe das Gefühl, diesmal schaffen sie es.«
    »Sind Sie über das, was Ihr Enkel getan hat, informiert?«
    »Ja, schrecklich. Ich begreife das nicht. Warum hat dieser Mann ihn angegriffen?«
    Schwarz wusste nicht, was er sagen sollte. Engler sah ihn irritiert an. »Gibt es etwas, was ich wissen sollte?«
    »Ich glaube schon.« Schwarz holte tief Atem und begann von seiner Entdeckung zu berichten. Er beschrieb Thomas Englers Aktivitäten während des Lokführerstreiks bewusst
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