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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
Autoren: Gerhard Roth
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Zufall« tatsächlich gibt, aber ob und in welchem Maße solche quantenphysikalischen Zufälligkeiten etwa beim Wetter, bei kosmischen Ereignissen oder im Gehirn des Menschen eine entscheidende Bedeutung haben (d. h. darüber bestimmen, ob ich A oder B tue), ist völlig offen. Ein hinreichend komplexes, aber deterministisch arbeitendes System kann nämlich von einem System, in dem objektive Zufälle vorkommen, nicht verlässlich unterschieden werden. Ja, ich kann sogar ein hinreichend komplexes System, z. B. ein künstliches neuronales Netzwerk, bauen, von dem ich entsprechend weiß , dass es keinerlei Zufall kennt, und dennoch bin ich nicht in der Lage, das Verhalten dieses Systems für alle Zeit mit beliebiger Genauigkeit vorherzusagen. Anders ausgedrückt: Aus der Tatsache, dass das Verhalten eines Systems, z. B. eines Menschen, nicht vorhersagbar ist (auch für den Menschen selbst nicht), folgt überhaupt nicht , dass es nicht deterministisch funktioniert. Das Umgekehrte gilt natürlich nicht: Wenn ich das Verhalten eines Systems stets präzise vorhersagen kann, so darf ich annehmen, dass es sich um ein deterministisches System handelt.
    Es kann also durchaus sein, dass an diesem Nachmittag »objektiv« noch nicht feststeht, was ich tun werde, weil Zufälle hierbei eine wichtige Rolle spielen. Ist damit die Willensfreiheit gerettet? Viele Physiker, Philosophen und Theologen glaubten im Zusammenhang mit der Quantenphysik einen solchen Schluss ziehen zu können: »Sieh da, nicht alles in der Natur ist determiniert! Also kann dies auch in deinem Gehirn so sein! Also ist Willensfreiheit möglich!«
    Ein solcher durchaus öfters anzutreffender Schluss ist aber in mehrfacher Hinsicht unzulässig. Erstens ist unklar, ob objektive Zufälle im Gehirn vorkommen (das scheint auf molekularer Ebene möglich zu sein) und – wenn ja – ob sie verhaltensrelevant sind. Man kann eher vermuten, dass sich schon auf mittlerer Komplexitätsebene des Gehirns alle Zufälligkeiten ausmitteln. Schwerer wiegt aber, dass hier Zufall und Willensfreiheit miteinander verwechselt werden! Ein zufälliges Verhalten ist einem Menschen nicht zuzurechnen. Wenn ein Angeklagter nachweisen kann, dass sein Auto plötzlich losfuhr, in eine Menge raste und mehrere Menschen tötete, dann kann er nicht schuldig gesprochen werden (es stellte sich anlässlich solcher Fälle tatsächlich heraus, dass unter besonderen Bedingungen die Autoelektronik sich so »verhielt!«). Vielmehr muss dem Angeklagten bewiesen werden, dass er die Tat bewusst beabsichtigte oder zumindest den Defekt der Autoelektronik kannte und ihn »billigend in Kauf nahm« (er also weiter mit einem solchen gefährlichen Auto herumgefahren ist). Ebenso kann ich nicht schuldig gesprochen werden, wenn ich eindeutig nachweisen kann, dass in Teilen meines Gehirns zufällige Quantenprozesse irgendeinen Prozess »entscheidend« beeinflusst haben.

Willensfreiheit kann nicht auf Zufall aufbauen
     
    Wir kommen damit zum Kern der Argumentation: Willensfreiheit kann nicht auf Zufall beruhen, sondern auf Handeln aufgrund von Motiven und Zielen, die mir bzw. meiner Persönlichkeit zugeschrieben werden können. Regiert der Zufall mein Handeln, so bin ich nicht willensfrei, genauso wenig wie bei äußerem oder innerem Zwang. Das führt zu einer gewissen Einschränkung dessen, was Michael Pauen und ich mit »der Persönlichkeit zuschreibbare Motive und Ziele« meinen. Es dürfen nämlich keine Motive und Ziele sein, die zwanghaft wirken. Wenn ich nämlich unter Waschzwang leide, Kleptomane oder krankhaft eifersüchtig bin, dann bin ich in diesem Zusammenhang nicht oder zumindest nur vermindert schuldfähig. Es müssen Motive und Ziele sein, die mit variablem Handeln vereinbar sind.
    Ich liebe (hypothetisch!) Filme mit Charlie Chaplin für mein Leben gern, und alle, die mich kennen, werden sagen »Sobald wieder ein Film mit Charlie Chaplin läuft, muss G. R. ihn sich ansehen!« Dennoch ist diese Vernarrtheit nicht so stark, dass ich gar nichts anderes tun kann, als zwanghaft in jeden Chaplin-Film zu gehen, der in der Stadt läuft. Es könnte auch sein, dass ich Sacher-Torte für mein Leben gern esse, aber dennoch bin ich, wenn ich mich richtig zusammenreiße, imstande, einem Stück Sacher-Torte zu widerstehen. Nur wenn ich das nicht mehr kann (der Zigarette, dem Bier, der Droge usw. ausgeliefert bin), dann handle ich zwanghaft und bin nicht mehr frei.
    Betrachten wir das eine Beispiel noch einmal
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