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Persilschein

Persilschein

Titel: Persilschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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wieder.
    Liebste, leb wohl.
    Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen aus den Augen. Dann griff er zum zweiten Schreiben, es war ebenso zerlesen wie das andere.

    Mein lieber Junge!
    Seit Dein Vater tot ist, habe ich Dich in dem Glauben gelassen, er sei gefallen. Aber das stimmt nicht. Bitte verzeih mir diese Lüge. Ich habe gelogen, damit Du in jungen Jahren nicht mit dem Schicksal Deines Vaters belastet wurdest. Jetzt bist Du alt genug, um zu erfahren, welches Verbrechen an ihm begangen wurde.
    Ich habe Dir nie erzählt, dass Dein Vater noch drei ältere Brüder hatte, Franz, Fritz und Wolfgang. Franz und Fritz gehörten in der Nazizeit der SS an, Wolfgang war Mitglied der SA und der NSDAP. Schon immer gab es unter den Brüdern heftige politische Auseinandersetzungen bis hin zu Handgreiflichkeiten. Ja, die Brüder, die eigentlich füreinander einstehen sollten, haben sich geschlagen. Du musst wissen, dass Dein Vater Konrad damals mit der KPD sympathisiert hat, aber nie Mitglied war. Das war den anderen Grund genug, ihn zu verprügeln. Obwohl er jedem Einzelnen von ihnen körperlich überlegen war, hat er meistens den Kürzeren gezogen. Denn er wehrte sich nicht, weil er seine Brüder nicht schlagen wollte.
    Diese ständigen Streitereien waren auch der Grund, warum Dein Vater mit seiner Familie gebrochen hat und nach Hamburg gezogen ist, wo ich ihn kennengelernt habe. Später haben wir uns verliebt und geheiratet, und dann kamst Du.
    Nachdem die Nazis die Macht übernommen hatten, hat Konrad jeden Kontakt zu den Kommunisten eingestellt. Er wollte nicht in einem KZ landen und Dich ohne Vater aufwachsen lassen.
    Im September 1943 wurde Dein Onkel Franz fünfzig Jahre alt. Zu der Feier lud Dein Onkel auch Deinen Vater ein, der froh war, seine Verwandten wiederzusehen. Er bekam Fronturlaub und fuhr nach Duisburg. Ich blieb mit Dir in Hamburg.
    Auf der Geburtstagsfeier kam es dann, nachdem viel Alkohol geflossen war, doch wieder zum Streit. Konrad hatte seine Brüder gefragt: »Warum grüßt ihr immer noch mit Heil Hitler? Der Krieg ist verloren und wenn die Kommunisten ans Ruder kommen, schneiden sie euch allen die Hälse ab.« Das waren seine Worte.
    Er wusste doch nicht, dass ihn dieser Satz, im Zorn ausgestoßen, das Leben kosten würde. Wie sollte er auch ahnen, dass sein eigener Bruder ihn ans Messer liefern würde?
    Dein anderer Onkel, Fritz, meldete diese Bemerkung sei-nem SS-Führer. Einige Tage später wurde Dein Vater in Hamburg verhaftet und vor den Volksgerichtshof gezerrt.
    Ich war bei dem Prozess anwesend. Obwohl der Richter Fritz auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hinwies, blieb er bei seiner Denunziation. Dieser Mörder! Ja, das ist er in meinen Augen!
    Fritz sagte sogar noch: »Ich will und werde aussagen. Menschen wie der da«, und da hat er mit dem Finger auf Deinen Vater gezeigt, »müssen ausgemerzt werden.«
    Das reichte. Dein Vater wurde zum Tode verurteilt und kam unter das Fallbeil. Im April 1944 musste er sein Leben lassen.
    Nach dem Krieg habe ich Fritz angezeigt und er wurde auch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Und verurteilt. Zu zwei Jahren Gefängnis und drei Jahren Ehrverlust. Zwei Jahre für ein Leben! Welcher Hohn! Das wird heute Gerechtigkeit genannt. Zwei Jahre!
    Der Richter, der damals das Urteil gegen Konrad fällte, wurde natürlich niemals belangt. Adolf Pauly heißt er. Er lebt vermutlich heute in Frieden und Wohlstand, ohne dass jemand von seinen Verbrechen erfahren hat.
    Wie Du weißt, bin ich sterbenskrank und habe nicht mehr lange zu leben. Deshalb dieser Brief. Wenn Du ihn erhältst, bin ich schon tot. Es fällt mir schwer, Dir all das zu schreiben. Und es zerreißt mir das Herz, dass ich nicht mehr sehen kann, wie Du eine Familie gründest, eigene Kinder großziehst. Wie gerne hätte ich Enkel in den Armen gehalten.
    Aber sei deshalb nicht traurig. Ich freue mich darauf, meinen geliebten Konrad wiederzusehen, genau so, wie er es am Tag seines Todes geschrieben hat.
    So, jetzt weißt Du alles und verstehst vielleicht auch, warum ich Dir seinen Brief nicht früher gezeigt habe. Jetzt aber sollst Du ihn bekommen. Es ist das letzte Lebenszeichen Deines Vaters, sein Erbe. Halte ihn und sein Andenken in Ehren. Dein Vater Konrad war ein feiner Mensch. Eifere ihm nach, Konrad. Denn Du trägst seinen Namen.
    Ich liebe Dich.
    Deine Mutter
    14
     
    Donnerstag, 28. September 1950
     
    Der Wachtmeister, der an der Pforte Dienst tat, meldete sich telefonisch

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