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Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben

Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben

Titel: Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben
Autoren: Wolfgang Ecke
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Mantel und Schirm ab, läßt sich am Empfang eine „Times“ geben und macht es sich in einem Sessel neben der Tür zum Frühstückszimmer bequem. Alle Bewegungen deuten darauf hin, daß der Mann viel Zeit hat — oder daß er zu früh zu einer Verabredung gekommen ist. Nicht einmal sein wiederholtes Auf-die-Uhr-sehen verwischt diesen Eindruck. Fünf Minuten vor 22 Uhr erhebt er sich.
    Er langt nach Hut, Mantel und Schirm, legt die „Times“ auf den Tresen des Empfanges und nimmt einen Schlüssel mit einer gewaltigen Holzkugel daran in Empfang. Vier Minuten vor 22 Uhr betritt er den Fahrstuhl. Im dritten Stockwerk verläßt er ihn wieder. Zwei Minuten vor 22 Uhr schließt der Mann das Zimmer mit der Nummet - 37 auf, geht hinein und schließt sorgfältig hinter sich ab. Er wirft Hut, Mantel und Schirm auf das kleine Tischchen neben der Tür und wendet sich dem Telefon zu.
    „Vermittlung!“ dringt es ihm aus der Muschel entgegen.
    „Ich hätte gern eine Verbindung nach Schottland!“
    „Bitte Ort und Nummer, Sir!“
    „Grantown LX 232311.“
    „Ich wiederhole: Grantown LX 2-3-2-3-1-1. Bitte, legen Sie auf, Sir. Die Leitung ist im Augenblick besetzt!“
    Der Mann runzelt die Stirn, sieht auf die Uhr und legt auf. Ungeduldig erhebt er sich und beginnt in seinem Zimmer auf- und abzulaufen.
    Der Mann ist ungefähr vierzig Jahre alt und von untersetzter, stämmiger Figur. Er trägt einen dunkelblauen, zweireihigen Anzug mit hellen Nadelstreifen. Weder Anzugsstoff noch Muster noch Schnitt sind modern, und bei näherem Hinsehen kann man die dünnen und abgeschabten Stellen an Ellenbogen und Kragen erkennen. Das Haar des Mannes, das bereits vereinzelte graue Strähnen aufweist, ist von einem rötlichen Blond und an den Schläfen stark gelichtet. Doch die auffälligsten Merkmale seiner Erscheinung sind einmal die tiefe, volle Stimme und zum anderen eine scharfgezackte Narbe, die vom linken Auge bis zum Mundwinkel reicht.
    Der Mann bleibt vor dem Apparat stehen und stößt einen Fluch aus. Schon streckt sich seine Hand dem Hörer entgegen, als er sie doch wieder fallen läßt und seine unterbrochene Wanderung wieder aufnimmt. Da, endlich rasselt das Läutwerk. Mit zwei Schritten ist der Mann zur Stelle und reißt den Hörer von der Gabel.
    „Na endlich“, zischt seine dunkle Stimme erregt in die Sprechmuschel. Doch unbeteiligt klingt es ihm aus der Membrane entgegen:
    „Ihre Anmeldung Grantown. Bitte, Sir, sprechen Sie!“
    „Hallo… Hallo… Hören Sie mich?“
    „Hallo?“ Weit entfernt, aber klar verständlich.
    Der Mann in Zimmer 37 des Hotels „Merry’s House“ preßt den Hörer fest an sein Ohr, während er spricht: „Ich bin’s… Ich bin noch im Hotel… Ich fliege morgen früh mit der Maschine 7 Uhr 35. Dieser Detektiv Perry Clifton kommt mit dem Expreß… Ich war ihnen den ganzen Tag auf den Fersen… Er hat diesen Jungen bei sich… Muß so um die zwölf sein… vielleicht auch dreizehn… Sie treffen um 6 Uhr 3 8 in Aberdeen ein… Ich habe mich erkundigt… Ist alles vorbereitet?“
    Sekundenlanges Schweigen, dann… „Alles okay!“
    „Morgen nacht also!“
    „Morgen nacht!“
    Ein leises, entferntes Knacken verrät, daß der Teilnehmer mit der Nummer Grantown LX 232311 aufgelegt hat. Auch der Mann mit der tiefen Stimme und der Narbe tut das gleiche. Dabei geht sein Blick in ferne Weiten, und ein eigenartiges Lächeln umspielt seine Lippen.

    22. Juli, morgens 6 Uhr 20. Perry Clifton und Dicki haben bereits ein kleines Frühstück eingenommen und sitzen in ihrem Abteil. Dicki hat den Kopf aufgestützt und blickt auf die vorbeiziehende Landschaft.
    „Noch eine Viertelstunde, Dicki, dann haben wir’s geschafft.“
    „Ist Aberdeen eine große Stadt?“
    Clifton lächelt und zählt auf: „162 000 Einwohner. Hat seit 1494 eine Universität, die berühmte gotische St.-Macharius-Kapelle, eine große Textil- und Elektroindustrie. Dazu kommen ein Nordseehafen, Werften und ein Flughafen. Sicher gibt es auch einen Bürgermeister, eine Feuerwehr, eine Pfandleihanstalt und mehrere Schulen.“
    Dicki schüttelt mißtrauisch den Kopf, und nach einer Sekunde scharfen Nachdenkens meint er:
    „Das klingt so, als hätten Sie das auswendig gelernt.“
    Perry lacht. „So ist es, ich habe mich auch erst über Aberdeen informieren müssen. Du vergißt, Dicki, daß außer dir und deinem Vater auch ich vorher noch nie in Schottland war.“
    Dicki verzieht den Mund und macht eine Handbewegung. „Man kann ja
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