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Perlentod

Perlentod

Titel: Perlentod
Autoren: Juliane Breinl
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abbiegen. Tschau«, rief sie und war schon fast verschwunden.
    »Bis Morgen«, rief Senta ihr irritiert nach. Miriam winkte zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen. Mit ihrem federnden Gang, der Wespentaille und ihren glänzenden braunen Locken, die bei jedem Schritt elastisch gegen den Rücken wippten, erinnerte sie an Models in Werbespots für Shampoo. Vielleicht ist sie gar nicht so übel, dachte Senta. So sehr hatte sich schon lange niemand mehr für sie interessiert. Ein kleiner Hoffnungsfunken keimte in ihr auf, an diesem ungeliebten Ort vielleicht doch noch eine Freundin zu finden.

4
    Hast du wirklich noch nie von diesem Fall gehört?«, Lolle schaute Senta ungläubig an und fuhr sich durch die auberginrot gefärbten Haare. »Das ist letztes Jahr wochenlang durch die Presse gegangen. Die Zuckerwatte war bis heute verschwunden.«
    Senta stand mit Miriam und den Hofdamen im Rauchereck. Bis zur großen Pause hatte sie warten müssen, um endlich mehr über die schrecklichen Neuigkeiten des Vormittags zu erfahren.
    »Hatte die jemand von euch?«, brach es jetzt aus ihr heraus. Senta konnte nicht begreifen, dass man die halb verweste Leiche einer Lehrerin ausgerechnet in ihrem neuen Heimatdorf gefunden hatte. Nur einen kurzen Spaziergang von ihrem Zuhause entfernt war sie, eingemauert in den Keller eines alten, leer stehenden Bauernhofs, entdeckt worden. Senta fühlte sich wie in einem schlechten Film. Sie bekam Gänsehaut, wenn sie sich erinnerte, wie sie in der Vergangenheit ahnungslos an dem Gehöft vorbeigegangen war, während hinter einer dieser Mauern die sterblichen Überreste der Lehrerin gelegen hatten. Plötzlich fielen ihr die Polizeiautos wieder ein, die am Sonntagnachmittag ins Dorf eingebogen waren. Bestimmt hatte man sie zu dieser Zeit gefunden.
    »Ich hatte sie in der Fünften. In Geschichte. Schreckliche Tussi.« Kims abfälliger Kommentar riss Senta aus ihren Gedanken.
    »In dem Jahr, als ich Deutsch bei ihr hatte, ist sie verschwunden«, trumpfte Miriam auf und klang dabei nicht weniger verächtlich als Kim. »Zuckerwatte war eine Versagerin. Kein Wunder, dass es sie erwischt hat.«
    »Wie Versagerin?« Senta konnte nicht fassen, wie geschmacklos sich Miriam und ihre Hofdamen über ein so furchtbares Verbrechen äußern konnten.
    »Dumme Kuh, Lusche, Looser, Nichtskönnerin, Null. Frau Polsterschmidt war eine Versagerin. Schon alleine diese Frisur. Was denkst du, woher der Name Zuckerwatte kam? So sahen ihre Haare aus. Und an ihr Kinn hätte man locker zwei Kleiderbügel hängen können. Wie bei einer Hexe.«
    »Na ja«, warf Senta ein und Empörung schwang in ihrer Stimme mit. »Aber schlechtes Aussehen alleine macht einen ja noch nicht zum Versager, oder?«
    »Die ist immer rot geworden wie eine Tomate«, mischte Lolle sich lachend ein. »Einmal hat ihr jemand aus Versehen einen Kaugummi in die Haare geschmissen. Da hat die fast geheult.«
    »Und nach ihrem Verschwinden gab es nicht einmal einen Verdacht?«, versuchte Senta, wieder auf das Thema zurückzukommen.
    »Zuerst hat man vermutet, dass sie irgendwo beim Wandern verunglückt ist«, erzählte Lolle. »Aber als man keine Leiche gefunden hat, haben sie schon geglaubt, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden ist. Da wurden dann sogar hier in der Schule alle Lehrer befragt und auch unsere Klasse. Und jetzt haben sie endlich ihre Leiche gefunden.«
    »Hatte sie Familie?«
    »Die doch nicht. Die hat nur mit einem Hund zusammengelebt. Und dem ist sie wahrscheinlich auch auf die Nerven gegangen«, lachte Miriam auf und Senta zuckte zusammen. Es schockierte sie, wie extrem cool die anderen über den Fall reden konnten. Immerhin war eine Person, die sie gekannt hatten, Opfer eines Verbrechens geworden! Eines Mordes! Aber Miriam und ihre Hofdamen schienen hiervon völlig unberührt.
    Nur die schmächtige Rita hatte sich noch gar nicht zu Wort gemeldet. Wie immer wirkte sie auf Senta ein wenig abwesend, was mit Sicherheit auch an ihrem Schlafzimmerblick lag. Und an den dünnen hellblonden Haaren, von denen ihr immer eine Strähne vor dem Gesicht hing, die sie in regelmäßigen Abständen versuchte wegzustreichen. Sie war klapperdürr und hatte etwas Durchsichtiges an sich. Während des Gesprächs knabberte sie unentwegt an ihren Fingernägeln.
    »Hattest du etwas mit der Polsterschmidt zu tun?«, richtete Senta die Frage an sie, in der Hoffnung, dass sich wenigsten hinter einer dieser coolen Fassaden eine menschliche Regung zeigen würde.
    Rita
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