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Perlentod

Perlentod

Titel: Perlentod
Autoren: Juliane Breinl
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dem geheimnisvollen Anwesen, das so abseits des Dorfes lag? Oder an der stets mürrischen Besitzerin, die mit keinem aus dem Dorf ein Wort wechselte. Jeder im Dorf mied diesen Ort. Doch heute wollte Senta genau dorthin. Denn im Gegensatz zu Menschen schien dieser Ort Katzen anzuziehen. Die alte Okkulta, wie die merkwürdige Waldbewohnerin im Dorf von allen genannt wurde, war bekannt für die Horden von Katzen, die sie um sich scharte. Hier wollte Senta die Rote aussetzen. Hoffentlich weit genug entfernt von Zuhause und hoffentlich für die Rote so attraktiv, dass sie sich nie wieder in ihre Nähe verirrte!
    Soll sie doch der Okkulta die Nächte mit ihrem Gemaunze versüßen, dachte Senta entschlossen. Sie musste noch eine kurze Strecke durch den Wald zurücklegen, bis zwischen den herabhängenden Ästen einer alten Eiche das moosbewachsene Dach des Okkulta-Hauses auftauchte.
    Das Mädchen stieg vom Fahrrad ab, lehnte es vorsichtig gegen einen Baum, zog sich Lederhandschuhe an und griff nach dem Bündel. Auch dieses Mal hielt die Rote still und Senta überkam ein Anflug von Mitgefühl. Das Verhalten der Katze wollte so gar nicht zu ihrem Bild von der gemeingefährlichen Kratzbürste passen, die ihr den Schlaf raubte. Um sich nicht vom geöffneten Weg her dem rostigen Zaun zu nähern, der das Anwesen umgab, kroch Senta mit dem Bündel im Arm durch kratzige Büsche. Im Schutz der Bäume wollte sie nach einem geeigneten Plätzchen für ihre Aktion Ausschau halten.
    Das verwilderte Grundstück war glücklicherweise sehr weitläufig, sodass zwischen Zaun und Haus genug Abstand lag. Die dünnen Betonpfosten des alten Maschendrahtzauns waren an etlichen Stellen umgekippt und gaben Einschlupflöcher frei. An einem solchen Loch blieb Senta stehen. Hier wollte sie die Rote ihrem Schicksal überlassen. Vorsichtig legte sie das Bündel vor sich ab und kniete nieder. Sie lockerte den Knoten und entfaltete die Decke. Noch immer rührte sich die Katze nicht. Dabei hätte sie sich nun ohne Anstrengung befreien können. »Du kannst jetzt abhauen.« Mit einem Ast stupste Senta das Bündel an. Als sich das Tier immer noch nicht bewegte, zog sie mit einem beherzten Ruck die Decke weg. So totenstarr sich die Rote einen Sekundenbruchteil zuvor noch gezeigt hatte, so blitzschnell befreite sie sich nun und kletterte in Windeseile auf den nächsten Baum. Bis hinauf in die Krone, von der aus sie argwöhnisch ihre Entführerin beäugte. Senta seufzte erleichtert auf. Das wäre geschafft, dachte sie und warf noch einen kurzen Blick auf die andere Seite des Zauns.
    Der Schreck fuhr ihr in alle Glieder. Zwei Augen starrten sie durchdringend an. Wie eine bizarre Gipsfigur stand die alte Okkulta vor ihr. Nichts wie weg hier, dachte Senta und schnappte nach der Decke. Das Seil bekam sie in der Hektik nicht zu fassen. Angetrieben von ihrem immer wilder klopfenden Herzen, ließ sie es liegen und ergriff die Flucht. Wie diese Frau sie angesehen hatte. Vielleicht trug sie eine abgesägte Schrotflinte unter ihrem weiten Rock, mit der sie auf sie zielte? Glaubte man den Geschichten, war der Okkulta so einiges zuzutrauen.
    Erst am Fahrrad angelangt, wagte Senta einen Blick zurück zum Zaun. Von der Okkulta war nichts mehr zu sehen. Hastig riss sie das Fahrrad hoch und schwang sich hinauf. Als sie schon ein paar Meter gefahren war, hörte sie plötzlich einen gewaltigen Knall. Sie schießt auf mich, war Sentas erster Gedanke. Aber nur einen Augenblick später begriff sie, dass es nur das dumpfe Krachen eines gefällten Baumes war, das sie erschreckt hatte. Senta trat noch schneller in die Pedalen, fuhr vorbei an einer alten Villa, die direkt am Waldrand von einer hohen Mauer abgeschottet wurde, und nahm den Umweg über die Landstraße in Kauf. Nur raus aus diesem einsamen Waldgebiet.
    Jäh durchschnitt Sirenengeheul die dörfliche Stille. Senta hatte gerade das Dorfeingangsschild passiert, da sah sie die beiden Polizeiwagen in die Hauptstraße einbiegen. Für einen Moment blieb sie stehen und schaute den Einsatzwagen hinterher. Dann fuhr sie schnell die letzten Meter bis zur Dorfstraße nach Hause.

2
    In der großen Wohnküche roch es verführerisch.
    »Endlich bist du da«, rief ihre Mutter ihr vom Herd entgegen. »Heute gibt’s dein Lieblingsessen. Pfannkuchen mit Zucker und Zimt.«
    »Ich esse mindestens sechs«, antwortete Senta vergnügt und war froh, wieder zu Hause zu sein. Na ja, was hieß zu Hause. So wirklich zu Hause würde sie sich in diesem
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