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Perlentod

Perlentod

Titel: Perlentod
Autoren: Juliane Breinl
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verdammten Kaff wohl nie fühlen. In Harting, dem Geburtsort ihrer Mutter und dem wahrscheinlich langweiligsten Ort des Universums. Sie hatte ihren Eltern immer noch nicht vergeben, dass sie sie vor gut einem halben Jahr gezwungen hatten, von München hierher zu ziehen. In ein altes, renovierungsbedürftiges großes Haus mitten in der Pampa. Obwohl das alte Bauernhaus langsam wirklich wohnlich und ihr neues Zimmer doppelt so groß war wie das in ihrer alten Wohnung, machte Senta der Wegzug immer noch sehr zu schaffen. Mehr denn je sehnte sie sich zurück, nach der Großstadt, nach ihren Freundinnen und vor allem nach Riko, ihrem heimlichen Schwarm.
    Die Pfannkuchen schmeckten himmlisch. Hungrig von dem abendlichen Ausflug, lud sich Senta die sechste Portion auf ihren Teller, was ihr einen schmunzelnden Seitenblick ihrer Mutter einbrachte.
    »Na, Senta, vielleicht solltest du das nächste Mal deine Matheformeln einfach wie Pfannkuchen in dich reinspachteln. Dann kommt vielleicht auch mal eine bessere Note als eine Fünf hinten raus«, mischte sich ihr Vater ein. Senta verdrehte die Augen und antwortete nicht. Konnte man nicht einmal etwas genießen, ohne dass Papa mit der Schule anfing? Als wandelnder Taschenrechner auf zwei Beinen, verstand er einfach nicht, dass Senta, trotz seiner aufopferungsvollen Nachhilfe, keine bessere Leistung zustande brachte.
    »In dir fließt doch echtes Herzog-Blut!«, weigerte er sich, das Thema zu wechseln. »Was Zahlen angeht, kommst du wahrscheinlich nach Tante Käthe. Die hatte sogar Probleme, sich die Anzahl ihrer eigenen Kinder zu merken, weil sie ihre Zwillinge immer als eins gezählt hat.«
    Immer diese dämliche Tante Käthe. Senta stöhnte innerlich auf und bemühte sich, ihren Ärger herunterzuschlucken.
    Seit ein paar Monaten war sie dazu übergegangen, die Sticheleien ihres Vaters zu ignorieren. Meistens gelang ihr das auch, wenigstens für ein paar Minuten. Doch als der nächste unsäglich blöde Kommentar folgte, reichte es ihr.
    »Es kann eben nicht jeder so ein Superhirni wie du sein«, schrie sie los und donnerte das Besteck auf den Teller. Ihre persönliche, von den Eltern gefürchtete Senta-Kernschmelze hatte eingesetzt und war nicht mehr zu stoppen. In drei Explosionsphasen war alle gute Stimmung, einschließlich des Nachgeschmacks der leckeren Pfannkuchen, vernichtet und Senta hatte sich für den Rest des Tages ins Abseits katapultiert.
    »Wann hört dieser Scheiß endlich auf?!«, fragte sie zehn Minuten, gefühlte fünfzig Schimpfwörter und drei Türknaller später ihr Spiegelbild. Eindringlich, als würde darin die Erklärung für all ihre Fragen liegen, blickte Senta in ihre dunkelbraunen Augen. Wer bist du eigentlich und warum bist du ständig so wütend?, schoss es ihr durch den Kopf.
    Sie war fünfzehn, hörte auf den altmodischen Namen Senta, ging in die neunte Klasse und würde spätestens mit achtzehn aus diesem popligen Dorf wieder nach München zurückziehen. Vielleicht stünde dann zufällig ihre alte Wohnung leer und sie könnte dort mit Freunden oder mit einem Freund, am besten mit Riko, wohnen. Senta ließ sich zwischen verstreuten Klamotten und Schulheften auf ihr Bett fallen und starrte an die Zimmerdecke. Der Gedanke an Riko versetzte sie, wie immer, in besondere Stimmung. Aber zu den beschwingten Schmetterlingen im Bauch hatte sich zuletzt ein dumpfer Schmerz gesellt, der sich langsam hocharbeitete und ihr Herz wie einen Hefeteig zusammendrückte. So fest, dass ihr manchmal die Luft wegblieb. Fast jeden Abend malte sie sich aus, wie es plötzlich an der Tür klingelte, wie sie es gar nicht hören würde, weil sie noch tief und fest schlief. Wie jemand mit leichten Schritten die Treppe heraufkäme und mit aller Vorsicht in ihr Zimmer treten und in der Tür stehen bleiben würde – den Blick auf sie gerichtet, wie er sie beobachten würde – halb zugedeckt in ihrem Bett liegend und schlafend. Nach einer Weile würde sich der Jemand vor ihr Bett knien, nein, auf ihr Bett setzen. Er würde ihr über das Haar streichen. Ganz zart, als ob er Angst hätte, etwas an ihr könnte kaputtgehen. Sie stellte sich vor, wie sie es zwar bemerken, die Augen aber nicht öffnen würde. Wie sie nach einer Weile den warmen, verhaltenen Atem auf ihren Wangen spüren würde, trockene, weiche Lippen, die einen scheuen Kuss wagten. Noch immer würde sie sich schlafend stellen und spüren, wie er sich kaum noch beherrschen könnte. Wie er die Luft scharf durch die Nase
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