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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber
Autoren: China Miéville
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herunterspringen, und er befindet sich im Zustand der Krisis – er fällt. Krisisenergie anzapfen und kanalisieren, ihn in der Luft halten, die Krisis ankurbeln, Energie abzapfen und so weiter. Eine perfekte Schleife. Ich bin überzeugt, dass es funktioniert. Es hängt nur an dieser verdammten Rechnerei …«
    »Wie lange?«, wiederholte Derkhan ruhig. Isaac runzelte die Stirn.
    »Eine Woche – oder zwei, vielleicht«, gestand er. »Vielleicht länger.«
    Derkhan schüttelte den Kopf. Sie schwieg.
    »Ich stehe in seiner Schuld, Dee«, sagte Isaac mit gepresster Stimme. »Ich vertröste ihn schon seit einer Ewigkeit und er …«
    Er hat Lin vor dem Gierfalter gerettet, hatte er sagen wollen, doch eine innere Stimme war ihm zuvorgekommen, hatte das Unaussprechliche ausgesprochen, hatte geraunt, ob es nicht anders besser gewesen wäre, und entsetzt über sich selbst verstummte er.
    Es ist die gewaltigste wissenschaftliche Entwicklung seit Jahrhunderten, dachte er, plötzlich wütend, und ich muss mich damit verstecken, ich muss sie – muss sie heimlich, still und leise wegschaffen …
    Er streichelte Lins Rückenschild, und sie machte Zeichen, etwas mit Fisch und kalt und Zucker.
    »Ich weiß, Isaac«, sagte Derkhan ohne Groll. »Ich weiß. Er ist – er verdient es. Aber wir können nicht so lange warten. Wir müssen irgendwohin, wo wir in Sicherheit sind.«
     
    Ich werde tun, was ich kann, versprach Isaac. Ich muss ihm helfen. Ich beeile mich.
    Derkhan gab sich zufrieden. Was blieb ihr anderes übrig? Sie wollte ihn und Lin nicht im Stich lassen. Sie machte ihm keinen Vorwurf. Sie wollte, dass er seinen Vertrag erfüllte, dass er Yagharek gab, was dieser sich mehr als alles andere wünschte.
    Die zum Schneiden dicke Luft und die Kahlheit des feuchten kleinen Zimmers waren ihr plötzlich unerträglich. Sie murmelte etwas von sich am Fluss umsehen und ging. Isaac lächelte ohne Wärme über ihre halbherzige Entschuldigung.
    »Pass auf«, sagte er unnötigerweise, als sie aus der Tür ging.
    Er saß, Lin auf dem Schoß, mit dem Rücken an der feuchten Mauer.
    Nach einer Weile fühlte er, wie Lin erschlaffte und einschlief. Er schob sich unter ihr hervor, ging zum Fenster und schaute auf das Getriebe unten.
    Er wusste nicht, wie die Straße hieß. Sie war breit und an beiden Seiten gesäumt von jungen Bäumen, noch geschmeidig und hoffnungsvoll. Am unteren Ende hatte man einen Karren quer gestellt und absichtlich eine Sackgasse geschaffen. Ein Mann und ein Vodyanoi standen daneben und diskutierten erregt, während die eingeschüchterten Zugtiere, zwei Esel, die Köpfe hängen ließen und sich bemühten, möglichst keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Eine Horde Kinder tauchte aus dem Nichts vor den stillstehenden Rädern auf, sie machten Jagd auf einen Ball aus zusammengeschnürten Lumpen. Sie rannten und hüpften, ihre einfachen Kittel flatterten wie Flügel, die sie vergeblich in die Luft zu heben suchten.
    Es gab ein Gerangel, vier Menschenjungen schubsten eins der beiden Vodyanoikinder. Der dickliche kleine Vodyanoi kroch auf allen vieren rückwärts. Einer der Bengel warf einen Stein. Der Streit war schnell vergessen. Der Vodyanoi schmollte einen Moment, dann hopste er zurück ins Spiel und stibitzte den Ball.
    Weiter die Straße entlang, ein Stück unterhalb von Isaacs Haus, malte eine junge Frau mit Kreide ein Symbol an die Mauer. Es war ein fremdartiges, eckiges Zeichen, das Emblem einer Hexe. Zwei alte Männer saßen nebeneinander auf einer Stufe, würfelten und lachten über die Ergebnisse. Die Häuser waren schmalbrüstig, von Vogelkot streifig gemustert, die Teerstraße übersät von wassergefüllten Schlaglöchern. Krähen und Tauben zogen ihre Bahnen durch die Rauchsäulen aus Tausenden von Schornsteinen.
    Bruchstücke von Gesprächen drangen an Isaacs Ohr.
    »… und er sagt, einen Heller dafür? …«
    »… den Motor kaputt gemacht, aber was soll’s, er war von jeher ein Arschloch …«
    »… nicht der Rede wert …«
    »… am nächsten Juristag, und sie hat einen kompletten Kristall abgestaubt …«
    »… geil, ab-so-lut geil …«
    »… Angedenken? Für wen? …«
    Für Andrej, ging es Isaac aus heiterem Himmel durch den Sinn. Er hörte weiter zu.
    Und es war ein reich gedeckter Tisch. Da waren Sprachen, die er noch nie gehört hatte. Er erkannte Perrikish und Fellid, die komplizierten Kadenzen des Unteren Cymek. Und andere.
    Er wollte hier nicht weg.
    Isaac seufzte und wandte sich wieder
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