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Pelte, Reinhard

Pelte, Reinhard

Titel: Pelte, Reinhard
Autoren: Inselbeichte
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Frau Schirmer, wenn ich Sie einfach so unterbreche. Ich habe ein wirklich wichtiges Anliegen an Ihren Chef. Das kann einfach nicht warten, Sie verstehen sicherlich. Ist er im Hause?«
    »Aber selbstverständlich, Herr Jung. Kein Problem. Er ist da. Ich stelle Sie durch. Auf Wiederhören.«
    »Vielen Dank, Frau Schirmer. Auf Wiederhören.«
    »Hallo Jungi, altes Haus. Wie geht’s? Was verschafft mir die Ehre?«, meldete sich Immo.
    »Guten Tag, Immo. Ich möchte dich sprechen. Du weißt sicherlich warum.«
    »Aber Jungi, du klingst, als hätten wir zusammen etwas ausgefressen. Was gibt es denn so Wichtiges? Ich bin gerade aus dem Urlaub zurück.«
    »Wie war dein Urlaub? Hast du dich gut erholt?«
    »Fantastisch. Du glaubst es nicht. Einfach wahnsinnig.«
    »Syrien, das Thailand für Schwule, nicht wahr?«
    »Sag mal, was ist denn mit dir los? Spinnst du?«
    »Also Immo, wann?«
    »Was ist denn? Du klingst so komisch.«
    »Immo, ich möchte dich sprechen. Wann passt es dir?«
    »Äh, was soll denn das? Dein Ton …«
    »Immo, wann?«
    »Ja, jetzt, wenn du unbedingt willst.«
    »Ich meine, hier bei mir in Flensburg.«
    »Mensch, was ist denn …«
    »Gut Immo, ich lade dich hiermit für Donnerstag früh 9 Uhr in die Polizei-Inspektion in Flensburg vor. Brauchst du das schriftlich?«
    »Nein, ich bin doch nicht schwerhörig. Was soll das …«
    »Tschüss, Immo, bis Donnerstag.« Jung drückte die rote Taste und hielt den Hörer einige Zeit in der Hand. War Immos Begriffsstutzigkeit gespielt? Oder hatte ihn sein Urlaub ins ewige Nirwana entführt? Jung fragte sich, ob Immo nicht schon seit geraumer Zeit, spätestens jedoch seit dem Klassentreffen, geahnt haben musste, was auf ihn zukommen könnte. Anders war sein Verhalten nicht zu erklären. Jung vermochte Immos Ausrutscher und Empfindlichkeiten erst nach Udos Beichte richtig einzuordnen.
    Was sollte er tun? Sollte er sich jetzt mit frischer Kraft darum kümmern, den Fall gerichtsfest zu machen und die Täter ihrem Richter zuzuführen? Wem wäre damit gedient? Der Gerechtigkeit? Dem Rechtsstaat? Dem Anspruch der Gesellschaft auf Schutz vor kriminellen Übergriffen? Der Abschreckung? Durfte er sich überhaupt anmaßen, diese Fragen zu stellen und Antworten für sich zu finden? Waren dafür nicht andere Instanzen zuständig? Lag überhaupt ein kriminelles Delikt vor? Ja, allerdings nicht da, wo es gesucht worden war, sondern woanders, wo keiner ein Verbrechen vermutet hatte. Und auch das war nicht völlig eindeutig. Nur eines stand fest: Udo hatte unter seiner Tat gelitten und sie gebüßt. Er hatte sich selbst bestraft. Dazu brauchte es keinen Richter. Nicht er oder andere hatten ihn zu Höllenstrafen verurteilt, er selbst war seine eigene Hölle und hatte in ihr geschmort bis zu dem Tag, als Jung ihn aufgesucht und daraus befreit hatte.
    Und Immo? Hatte er überhaupt realisiert, was er getan hatte? Dass er mit drinhing, weil er Mitwisser war? Dass er Udo mit der Leiche des Mädchens allein gelassen hatte? Er musste eine einzigartige Fähigkeit zur Verdrängung haben oder zum Überleben. Jung war sich nicht ganz sicher, ob er das bewundern oder verdammen sollte. Aber er würde es herauskriegen, nachdem er mit ihm hier in der Polizei-Inspektion, in seinem kargen Arbeitszimmer gesprochen hatte.
    Jung empfand wieder das dringende Bedürfnis, sich mit jemandem auszutauschen. Aber mit wem?
    Er stand auf und trat vor das Fenster. Die Wintersonne tauchte das Ostufer in rot-goldene Farben. Die Förde führte kein Eis mehr. Er stellte verwundert fest, dass in der Marina schräg gegenüber noch Segelschiffe im Wasser lagen. Sie hatten das Hochwasser und den Eisgang unbeschadet überstanden. Ihre Eigner hatten es nicht für nötig befunden, die Schiffe ins Winterquartier an Land zu nehmen. Das Glück hatte ihnen zur Seite gestanden. Jung lächelte. Audaces fortuna juvat {22} , dachte er.
    Jung zog seine Jacke an. Er verließ das Büro, stieg das Treppenhaus hinunter und passierte Petersens Wachstube. Sie war verwaist und erinnerte ihn daran, dass Petersen zum Mittagessen gelegentlich um die Ecke zu McDoof ging. Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor 13 Uhr.
    Er schlug den Weg in die Fußgängerzone ein. Das letzte Mal, als er hier entlang gehüpft war, hatte er zuerst nasse und später eiskalte Füße bekommen. Es hatte nicht viel gefehlt, und er hätte einen Arzt aufsuchen müssen. Das erinnerte ihn an Doktor Bär. Er wäre jetzt der richtige Gesprächspartner. Vielleicht aß er ja
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