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Pelte, Reinhard

Pelte, Reinhard

Titel: Pelte, Reinhard
Autoren: Inselbeichte
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Herren dann allein.« Greta Driefholt war durcheinander. Ihre offene Freundlichkeit war einer quälenden Unsicherheit gewichen. Sie flüchtete. Aber die Energie blieb und hielt die Männer stumm beisammen, bis der Tee serviert war.
    »Ich gehe jetzt rüber. Wenn Sie mich brauchen …«
    »Geh, Greta. Es ist in Ordnung.« Udo winkte fahrig ab.
    »Also, auf Wiedersehen, Herr Jung.«
    »Auf Wiedersehen, Frau Driefholt.«
    Sie tranken schweigend ihren Tee. In der lastenden Stille spürte Jung, wie sich die unsichtbaren Schwingungen allmählich verwandelten. Die Spannung flaute ab und machte einer tiefen Traurigkeit Platz. Im Raum hing ein trostloser Jammer, der jedes Wort erstickte. Udo ließ seinen Tee kalt werden und starrte reglos auf den Tisch. Endlich fragte er leise: »Wie alt war deine Tochter?«
    »Acht Jahre.«
    »Und sie hat überlebt?«
    »Sie kam mit dem Schrecken davon.«
    »Dann hat dich Gott mehr geliebt als mich.«
    »Wie meinst du das?«
    »In meinem Fall starb das Mädchen in meinen Armen.«
    Jung hielt den Atem an. Sein Herz schlug schneller. Er musste alle Kraft aufbieten, sich nicht zu bewegen. Er wusste, dass er sich nicht bewegen durfte und besser daran tat, den Mund zu halten und zu schweigen. Was sollte er jetzt auch tun können? Er kam sich vor wie ein Verräter.
    Udo hatte den Kopf gesenkt. Nach einer Weile hob er ihn und sah Jung an. Die Trostlosigkeit und Qual auf seinem Gesicht trieben Jung Tränen in die Augen. Er drückte seine Nasenwurzel. Udo sah ihn aus zerstörten Augen an. Sein Kummer war heillos.
    »Udo, ich muss dir etwas sagen«, brach Jung schließlich das Schweigen.
    »Dann sag es«, erwiderte Udo.
    Jung glaubte so etwas wie Hoffnung in seiner Stimme zu hören.
    »Wir hatten über Silvester ein Klassentreffen, in Husum, in Immos Hotel.«
    »Und?« Alle Hoffnung, wenn es denn je eine gegeben hatte, war aus Udos Stimme gewichen. Er hatte sich gewappnet, einen Streich entgegenzunehmen, auf den zu warten für ihn schmerzhafter geworden war, als ihn nun endlich zu empfangen.
    »Bis auf dich und Jost waren alle da. Jost ist schon viele Jahre tot.« Jung schwieg und machte keine Anstalten, weiterzusprechen. Auf Udos Gesicht breitete sich ein abgründiges Lächeln aus.
    »Du hast mit Immo gesprochen«, stellte er resigniert fest.
    »Ja.«
    Udo schüttelte den Kopf, immer wieder. Endlich hielt er still.
    »Er hat dir also erzählt, wie wir ein Mädchen verschwinden ließen.« Seine Feststellung kam leise, endgültig und unausweichlich.
    »Nein.«
    »Nein?« Er zögerte nur kurz. »Das hätte auch nicht zu ihm gepasst, dem alten Stecher.«
    »Und was passt zu dir, Udo? Du bist schwul, nicht wahr?«
    »Ja, ich bin schwul, und keiner darf es wissen, nicht mal ich selbst.« Er lachte tonlos.
    »Was ist passiert?«, fragte Jung leise.
    »Ich weiß nicht, wie alles passiert ist. Das Mädchen kam zurück und lief ins Haus. Die beiden waren da drin und machten, was weiß ich. Sie kam hysterisch aus dem Haus gerannt und schmiss sich auf den Boden. Ich wollte ihr helfen, sie beruhigen und trösten.«
    Nein, Udo, dachte Jung, das wolltest du überhaupt nicht. Du wolltest dir selbst helfen. Alles andere war dir völlig egal. Laut sagte er: »Und dann?«
    »Dann war sie tot. Ich bekam Panik.« Udo schwieg.
    »Wie ging es weiter?«
    »Das weiß ich nicht mehr so genau. Erst auf der Fähre kam ich wieder halbwegs zu mir. Die Panik brachte mich fast um. In Immos Wagen lagen das Mädchen und ihr Fahrrad. Immo war nicht da.«
    »Und weiter?«
    »Ich bestattete sie, wie es sich gehört.«
    »Christlich?«
    »Ja, christlich. Ich hatte eine Feuerbestattung, die sich verzögerte. Ich bestattete sie beide zusammen.«
    »Und du legtest Blumen auf ihr Grab.«
    »Ja, ich legte ihr Blumen aufs Grab.«
    »Und das Fahrrad?«
    »Das Fahrrad war alt und unansehnlich. Ich gab es in die Werkstatt.«
    »Und Immos Auto?«
    »Ich brachte es mit der ersten Fähre zurück aufs Festland und stellte es Immo vor die Tür. Ich hatte in Husum zu tun.«
    »Und weiter?«
    »Der Mechaniker, der den Ofen reparieren sollte, nahm mich mit zurück auf meine Insel.«
    Jung schwieg. Er hatte genug gehört. Es verstörte ihn, wie harmlos und gefällig sich Udo angehört hatte. Aber er schwieg dazu, wie er auch über alles andere schwieg, das ihn noch bedrängte. Eine Familie war zerstört worden, weil zwei Männer nicht gewagt hatten, sich zu erkennen zu geben. Wo lagen die Gründe? Lag es am Unverständnis und der Aggression der anderen
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