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Pelte, Reinhard

Pelte, Reinhard

Titel: Pelte, Reinhard
Autoren: Inselbeichte
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nur noch mit dem Kopf, wenn sie ihn in der Jacke aus dem Haus gehen sah.
    Der Klavierlehrer wohnte in einem alten, hübschen Backsteinhaus im ersten Stock. Der Bau musste kürzlich entkernt und renoviert worden sein. Das Treppenhaus war geschmackvoll und mit modernen Materialien hergerichtet worden und glänzte wie neu. Auf Jungs Klingeln öffnete ihm ein Mann um die 40. Er war nicht groß Jung schätzte ihn zwischen 1,70 und 1,80 , vollschlank, mit rundem, freundlichen Gesicht und Halbglatze. Er trug eine feine, schwarz eingefasste Brille, einen schwarzen Rollkragenpullover und dunkle Hosen.
    »Guten Tag, Kriminalrat Jung von der Polizei-Inspektion Nord in Flensburg. Ich möchte Sie gerne sprechen. Haben Sie einen Moment Zeit?«
    »Guten Tag. Ja, kommen Sie rein«, sagte der Lehrer fast teilnahmslos.
    Er führte ihn in einen Raum, der die gesamte Etage einnahm. Deckenhohe Bücherregale standen vor den Wänden. Im Hintergrund bedeckten Berge von Notenheften einen schwarzen Flügel von Bösendorfer. Nachdem er Jung die Jacke abgenommen hatte, lud er ihn ein, an einem kleinen Tisch in einem Erker Platz zu nehmen, von dem man auf einen kleinen Platz hinab sah.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Mann ruhig.
    »Es wird Sie vielleicht überraschen, aber ich komme im Fall Ihrer ehemaligen Schülerin, Imke Carl. Sie erinnern sich?« Jung ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen und blickte dann in die Augen seines Gegenübers. Der Mann schwieg, senkte den Kopf und sah auf seine Hände, die er vor sich auf dem Tisch gefaltet hatte. Daraufhin sah er wieder auf. Jung sah ihm an, dass die plötzliche Erinnerung an seine Schülerin ihn schwer getroffen hatte. Deutlicher hätte er nicht ausdrücken können, wie nahe sie ihm noch immer war.
    »Sie waren damals noch sehr jung, nicht wahr?«, versuchte Jung ihm über seine Betroffenheit hinwegzuhelfen.
    »Ja, das stimmt. Imke war ein außergewöhnliches Mädchen«, sagte er leise.
    »Können Sie das näher erläutern?«
    »Sie hatte ein einzigartiges Talent. Ihre Begeisterung war ansteckend und erweckte Freude an konzentrierter Arbeit. Sie verpasste keine Stunde. Ich freute mich jedes Mal auf sie. Ich sehe sie noch dort, am Klavier, als wenn sie gerade erst gegangen wäre.«
    »Waren Sie in sie verliebt?«
    »Sie war damals elf Jahre alt, ich bitte Sie. Aber ein bisschen ist doch etwas dran. Ich wusste, dass ich sie über kurz oder lang an einen wirklich guten Lehrer verlieren würde. Das tat mir weh, bevor es überhaupt soweit war.« Er senkte den Kopf und schwieg.
    »Umso schlimmer muss es für Sie gewesen sein, als sie das Opfer eines Verbrechens wurde, nicht wahr?« Jung konzentrierte sich scharf auf die Reaktion des Lehrers.
    »Schlimm. Unfassbar. Aber was ist denn der Anlass Ihres Besuches? Gibt es Neues?« Seine Stimme war heller und hatte sich erhoben. Jung entdeckte in ihr nichts außer verzweifelter Hoffnung.
    »Nein, leider. Aber ich untersuche den Fall, bevor er wieder in den Archiven verschwindet.«
    »Ach so.« Es schien, als sackte er in sich zusammen.
    »Kam sie immer mit dem Fahrrad zu Ihnen? Der Weg hierher ist nicht gerade kurz«, fuhr Jung fort.
    »Das hab ich ihren Eltern immer wieder gesagt. Selbst im Winter radelte sie hier her. Ich legte ihre Stunden wenigstens so, dass sie nicht im Dunkeln fahren musste. Ich sah ihr aus dem Fenster entgegen, wenn sie zum Unterricht kam und war jedes Mal erleichtert, wenn ich ihren witzigen Fahrradwimpel um die Ecke wippen sah. Er sah aus wie ein Stück Klaviertastatur. Sie hatte ihn selbst genäht.«
    »Waren ihre Eltern streng zu ihr?«
    »Nein, nein. Sie hatte prächtige Eltern. Ich lernte sie gut kennen. Auch nach Imkes Verschwinden hatten wir Kontakt. Sie standen auf dem Standpunkt: Mens sana in corpore sano {6} , Sie verstehen? Sie meinten, Radfahren sei gut für Imke. Sie hatte Asthma.«
    »Ja, ich verstehe. Aber körperliche Überanstrengung ist bei Asthma kontraindiziert. Wussten die Eltern das nicht?«
    »Doch, doch, ich denke schon. Wenn das Wetter wirklich mal schlimm war, wurde sie mit dem Auto gebracht, meistens von ihrem Bruder. Er war auch mal mein Schüler. Aber er hatte kein Talent fürs Klavierspiel.«
    »War er mehr sportlich?«
    »Ja und nein. Er war schon musikalisch. Vielleicht ist musisch begabt das bessere Wort. Er war sportlich, ja. Mir schien, aus ihm hätte ein guter Tänzer werden können. Er hatte die Figur und das Bewegungstalent dafür.« Jungs Gegenüber sah nachdenklich aus dem
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