Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelte, Reinhard

Pelte, Reinhard

Titel: Pelte, Reinhard
Autoren: Inselbeichte
Vom Netzwerk:
klingelte. Er rechnete nicht damit, jemanden anzutreffen, und erschrak deshalb heftig, als die Tür augenblicklich geöffnet wurde, so, als sei er sehnlichst erwartet worden. Eine rundliche, große Frau stand vor ihm. Ihr plumpes, gerötetes Gesicht umrahmte eine dauerwellige Haarhaube von undefinierbarer Farbe. Sie schien von einem Haarfestiger für alle Ewigkeit fixiert worden zu sein. Dazu trug sie eine blaue, dicke Strickjacke über einem gräulichen Kittelkleid, und ihre in dicken Stützstrümpfen steckenden Waden endeten in mausgrauen Filzpantoffeln. Ihr Alter war nicht annähernd zu bestimmen, nicht einmal eine Vermutung hätte Jung abgeben wollen. Sie hatte die Hände fröstelnd unter ihre vor der Brust verschränkten Arme gesteckt und sah Jung herausfordernd an.
    »Ja?«
    »Guten Tag, Kriminalrat Jung aus Flensburg. Spreche ich mit …«
    »Sie kommen doch nicht etwa wegen des Mädchens?«, unterbrach ihn der Filzpantoffel schroff und sah ihn aus schlauen Schweinsäuglein misstrauisch an.
    »Doch. Ich wollte …«
    »Die sind schon lange weg.«
    »Seit wann ist die Familie …«
    »Wir haben den Hof vor acht Jahren gekauft.«
    »Wissen Sie denn, wo die …«
    »Nein. Geht mich auch nichts an, nicht wahr?«
    Jung überlegte, wie er die Frau zugänglicher und gesprächiger stimmen könnte.
    »Bewirtschaften Sie den Hof noch?«
    »Wir vermieten an Feriengäste. Für die haben wir Beschäftigung auf den Äckern. Sonst nichts. Was wollen Sie?«
    »Haben Sie die Familie des verschwundenen Mädchens gekannt?«
    »Nein. Wir haben gekauft. Vom Makler. Die anderen hab ich nie gesehen.«
    »Aber Sie wissen von dem Verbrechen, das hier geschah?«
    »Ist mir bekannt. Hat den Preis gedrückt. Aber seitdem ist es ruhig. Noch was?«
    »Danke. Ich habe genug. Wenn ich noch etwas brauche, komme ich wieder. Ich glaube aber, eher nicht. Vielen Dank. Auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen.«
    Die Frau schloss die Tür genauso schnell, wie sie sie geöffnet hatte. Jung machte auf dem Absatz kehrt. Er war froh, als er im Auto saß und die Restwärme des Sitzes unter seinem Hintern spürte. Menschen können mich immer noch überraschen, dachte er. Vielleicht lag es daran, dass er sich hier nicht auskannte, und die Lektüre der Ermittlungsakte ihm einen anderen Eindruck von der Landbevölkerung vermittelt hatte. Immerhin hatte er eine erste Information: Die Familie lebte nicht mehr auf dem alten Hof. Er musste im Einwohnermeldeamt fragen, wo sie abgeblieben war.
     
    *
     
    Jung fragte sich, was er noch tun könne, wenn er schon mal hier war. Der Klavierlehrer fiel ihm ein. Er lebte in der Stadt und verdiente sein Brot mit Musikunterricht. Das waren vielleicht bessere Voraussetzungen für ein ergiebigeres Gespräch.
    Jungs Auto rollte vom Hof und er fuhr auf der Kreisstraße zurück nach Husum. Er stellte sein Auto auf dem Parkplatz des ersten Hotels am Platze ab. Das Gebäude stammte aus der Kaiserzeit und beherbergte bis in die 80er-Jahre ein Gymnasium. Jung hatte dort Abitur gemacht. Seine Erinnerungen an diese Zeit waren schmerzhaft, deshalb vermied er es, sich damit zu konfrontieren. Aus diesem Grund war er angenehm überrascht gewesen, als die alte Schule abgewickelt, das Gebäude verkauft und zu einem feinen Hotel umgebaut worden war. Seitdem hatte er bei Gelegenheit im Hotelrestaurant zu Mittag gegessen. Die Küche hatte sich einen guten Ruf erworben. Das erste Mal betrat er die alten Räume mit gemischten Gefühlen, aber schon bald hatte er sich beruhigt. Er erkannte seine alte Schule kaum wieder. Der säuerliche Kasernenmief war einer Atmosphäre heller, freundlicher Zuvorkommenheit gewichen. Dennoch war es ihm unmöglich, im Karzer ein Glas Wein zu genießen. Er war zum Weinkeller umgebaut worden. Früher hatten die Lehrer ihre Schüler dort vorübergehend weggesperrt, um sie für ihre Frechheit zu bestrafen, jung und lebendig zu sein.
    Jung ging über die Süderstraße und den Markt in den Schlossgang. Ihn fröstelte. Ein steifer Ostwind pfiff über den leeren Markt, und er zog den Kopf zwischen den hochgestellten Kragen seiner Jacke. Er konnte die Jahre, die er sie schon trug, nicht mehr an den Fingern seiner Hände abzählen. Svenja hatte ihm wiederholt eine neue Jacke aufzuschwatzen versucht. Ihre ausgeklügelten Strategien scheiterten aber an einer Störrigkeit, die von keinem noch so guten Argument zu erschüttern war. Die unerreichbare Tiefe seines Widerstands machte Angst, sogar Jung selbst. Seine Frau schüttelte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher