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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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modische Teil von
der Nase und stellte fest, dass es nicht an den dunklen Gläsern lag. Man sah
nichts, weil es hier einfach nichts gab, was man hätte sehen können. Außer
Landschaft natürlich. Davon allerdings jede Menge.
     
    Am
Horizont entfernte sich der Überlandbus, der sie hier abgesetzt hatte. Das
Motorengeräusch verebbte. Die aufsteigende Junihitze ließ die Luft flimmern,
Zikaden zirpten, ein Vogel schlug die Flügel, ein Käfer raschelte durch die
Blätter, die den trockenen Boden bedeckten. Irgendwo in der Ferne bellte ein
Hofhund. Keine Menschenseele weit und breit.
    »Zumindest
ist dieser Jakobsweg nicht so überlaufen wie der in Spanien.«
    Caroline
war die Erste, die ihre Sprache zurückfand. Der erste Schock legte sich.
Während Kiki die denkwürdige Szene mit ihrer sündhaft teuren digitalen Kamera
festhielt, suchte Judith bereits den Straßenrand ab, bis sie fand, was sie
gesucht hatte. Auf einem verwitterten Stein am Rand prangte eine
Jakobsmuschel, das untrügliche Zeichen, dass sie auf dem Jakobsweg angekommen
waren.
    »Hier muss
Arne zu seiner letzten Tour aufgebrochen sein«, flüsterte Judith bewegt.
    Caroline
begriff nur zu gut, was dieser Moment für Judith bedeutete. Sie beschloss,
alles daranzusetzen, die Reise zu einem Erfolg zu machen. »Worauf warten wir?«
    Sie hakte
sich bei Judith unter. Die beiden traten den Weg so beschwingt an, dass die an
den Rucksäcken befestigten Jakobsmuscheln fröhlich auf und ab wippten. Zum
ersten Mal seit Arnes Tod war Judith glücklich. Es fühlte sich gut und richtig
an: das Weite suchen, die Schuld ablaufen, einfach nur laufen. Und Arne noch
einmal ganz nahe sein. In diesem Anfang lag ein Zauber, etwas Heiliges fast.
    Es gab
Menschen, die hatten die Gabe, auf dem Pilgerweg den Kontakt mit dem Höheren,
dem Göttlichen herzustellen. Judith wünschte sich, dass sie einer dieser
Menschen war. Sie war offen dafür. Genau wie Arne würde sie sich bewusst dem
Weg hingeben. Eins sein mit der Schöpfung, und wieder eins werden mit sich
selbst.
    »Wo bleibt
unser Sherpa?« Estelles Stimme holte sie gnadenlos auf den Boden der Realität
zurück.
    »Welcher
Sherpa?«, fragte Caroline zurück.
    »Für das
Gepäck! Eine spirituelle Reise würde mir leichter fallen, wenn man mich von den
äußeren Lasten befreite.«
    Caroline
grinste nur. »Du wusstest, worauf du dich einlässt.«
    Estelle
blieb ungerührt. »Es war einen Versuch wert, oder nicht?«, verkündete sie und
setzte sich in Bewegung. Sie zog allen Ernstes einen eleganten Koffer mit
überdimensionierten Rollen hinter sich her. »Sonderanfertigung. Hat Yves mir
praktisch auf den Leib geschustert«, erklärte sie auf Kikis neugierigen Blick
hin.
    »Geländegängiger
Vierradantrieb. Hätte von mir sein können.«
    »Ich
denke, du bist fürs Wegwerfgeschirr zuständig.«
    »Bis
heute. Aber jetzt gibt es bei uns in der Firma einen internen Wettbewerb.
Thalberg hat einen Riesenauftrag an Land gezogen. Stellt euch vor, unser Studio
soll Vasen für Ikea entwerfen. Wer den internen Wettbewerb gewinnt, kann seinen
Entwurf weltweit in Hunderten von Filialen wiederfinden. Das ist meine
Chance.«
    Estelle hatte
fast schon Mitleid mit Kiki. War es nur dieser neue Auftrag, der sie so nervös
machte? Seit Jahren bastelte Kiki unermüdlich an ihrer Karriere. Es war nicht
der erste interne Wettbewerb, von dem Kiki begeistert erzählte. Aber so richtig
gezündet hatte bisher keiner von ihren Entwürfen. Wie auch? Kiki entwarf
Haushaltsgegenstände: Wegwerfbesteck, Plastikteller, Cocktailpicker, namenlose
Kunststoffprodukte, Massenware, hinter der niemand einen Designer vermutete.
Dabei hoffte sie eines Tages von der Wegwerfware wegzukommen. Bei Aufträgen
und bei Männern. Doch im Studio bei Thalberg drängten inzwischen junge Designer
nach. Praktikanten, kaum der Akne entwachsen, aber hoch motiviert, voller Ideen
und bereit, Kiki endgültig ins Abseits zu befördern. Dieses Mal musste es
klappen: »Design ist wie Hochleistungssport«, erklärte sie Estelle. »Mit
dreißig gehörst du zum alten Eisen.«
    Estelle
fragte sich, wohin man in der Designwelt gehörte, wenn man wie Kiki die dreißig
längst überschritten hatte. Aber da redete Kiki bereits weiter.
    »Du
glaubst nicht, wie anders unsere Praktikanten sind«, beschwerte sie sich. »Die
laufen den ganzen Tag mit ihren Wasserflaschen rum und fingern unablässig an
ihren Telefonen. Die gehen nur auf Partys, um am nächsten Tag die Fotos ins
Internet zu stellen«,
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