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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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dieser ganz harten Kerle im Haus, einer von den ganz knallharten, das sah man, und der stand jetzt da und küsste tränenüberströmt den Toten auf den Mund. Schließlich gelang es uns, die Leiche runterzuholen.
    Der Typ hob ihn auf, legte ihn ins Bett und sagte zu mir: »Lass mich allein. Ich will ihn waschen.« Ehrlich gesagt, war ich ziemlich froh, dass sich ein anderer um den Toten kümmern wollte. So konnte ich wenigstens weg. Ich war von oben bis unten voller Blut und wollte schnellstens unter die Dusche. Inzwischen hatte America die Mutter des Erhängten wieder zum Leben erweckt. Jetzt sah ich, dass im Türrahmen viele Leute standen und glotzten. Niemand wagte, den Raum zu betreten. Einige der Frauen bekreuzigten sich und beteten. America wollte dem Kerl helfen, der den Toten wusch, aber der stieß sie weg. »Ich habe gesagt, ihr sollt mich alle allein lassen. Raus hier.« America packte mich am Arm und führte mich in ihr Zimmer.
    »Setz dich, ich mach dir einen Kaffee. Heute kann ich dir keine Konsultation geben. Ein gerade Verstorbener ist im Weg. Und viel Blut.« »Was war hier los?«
    »Der Kerl, der sich erhängt hat, war schwul. Von Kindheit an hat man ihn gefickt, in der Umerziehungsanstalt für Minderjährige. Und ihm gefiel's. Er war ein hübscher Kerl und daher ziemlich frech, ein harter Bursche, aber Frauen mochte er nicht. Und bitter war er. Du siehst ja, was er sich angetan hat. Erst hat er auf sich eingestochen, dann hat er sich erhängt. Man muss verrückt sein, um sich so zuzurichten. Weißt du, was er gestern Nachmittag gemacht hat? Er ist ausgeritten, irgendwo da draußen, und er hat dem Pferd so stark die Peitsche gegeben, dass es bockte und ihn abwarf.
    Daraufhin stach er dem Pferd so lange ins Genick, bis es tot war, und lief dann blindlings davon. Wahrscheinlich ist er heute früh zurückgekommen und hat sich erhängt.« »Und seine Mutter war nicht im Zimmer?«
    »Nein, sie geht manchmal mit Männern aus und kommt betrunken zurück. Manchmal bleibt sie auch zwei, drei Tage weg.«
    »Wer war denn der Bursche, der mir geholfen hat, ihn abzuknüpfen?«
    »Einer von den Nachbarn. Sie waren seit langem befreundet. Ich habe das nie verstanden. Der Mann hat Frau und Kinder; er ist ein Prachtkerl, einer, der mit der Machete umgehen kann und sich dauernd mit der Polizei anlegt. Aber offenbar mochten sie sich.«
    Ich trank meinen Kaffee. America ließ mir ein Bad ein, und als ich mich gerade einseifte, kam die Polizei, um uns aufs Revier mitzunehmen, damit wir unsere Aussage machten. Eine Konsultation war an dem Tag nicht möglich, und meine Klamotten waren hinüber. Ich musste sie wegwerfen, weil die Flecken nicht rausgingen.

 
     
Meine Klaustrophobie
     
     
    Jahrelang habe ich mich bemüht, all die Scheiße abzuschütteln, die man auf mir abgeladen hatte. Und das war nicht leicht. Wenn du die ersten vierzig Jahre deines Lebens brav und ordentlich bist und alles glaubst, was man dir sagt, ist es anschließend fast unmöglich, »nein« zu sagen oder »scher dich zum Teufel« oder »lasst mich in Ruhe«. Aber ich schaffe es immer... na ja, fast immer, zu bekommen, was ich will. Solange es sich nicht um eine Million Dollar handelt oder um einen Mercedes. Obwohl, wer weiß. Wenn ich wirklich so etwas haben wollte, würde ich es auch bekommen. Im Grunde genommen ist das einzig Wichtige, dass man etwas wirklich will. Wenn du dir mit aller Macht etwas wünschst, bist du schon auf dem besten Wege, es zu bekommen. Es ist wie die Sache mit dem Zen-Bogenschützen, der seinen Pfeil abschießt, ohne auf die Zielscheibe zu blicken. Das tut er beharrlich viele Jahre, bis er schließlich trifft und damit alle Logik verkehrt.
    Als ich jedenfalls anfing, alle »wichtigen Dinge« - alle für andere »wichtigen Dinge« - aufzugeben und ein bisschen mehr für mich selbst zu denken und zu handeln, machte ich eine schwierige Zeit durch. Viele Jahre lang taumelte ich am Rande eines Abgrunds, bemüht, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ich trat in eine neue Phase des Abenteuers ein, das sich Leben nennt. Mit vierzig ist es noch nicht zu spät, aus dem Trott auszusteigen, alle fruchtlose und langweilige Mühsal hinter sich zu lassen und eine andere Lebensweise zu finden. Nur versucht das kaum jemand. Es ist sicherer, alles bis zum Ende beizubehalten wie gehabt. Ich wurde härter. Drei Dinge standen zur Wahl: Entweder wurde ich härter oder verrückt, oder ich brachte mich um. Also war die Entscheidung einfach: Ich
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