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Pechvogel

Pechvogel

Titel: Pechvogel
Autoren: Alexander Fuchs
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Frau nur mit ihm gemacht?
    »Wie spät ist es denn?«, fragte er.
    »Kurz nach eins. Wir haben fast fünf Stunden gequatscht.«
    »Das kam mir gar nicht so vor«, sagte er, obwohl es ihm doch eigentlich viel länger vorgekommen war. Nur sprach sein Mund nicht mehr das, was sein Gehirn ihm befahl. Gabi hatte die Macht über ihn übernommen.
    »Mir auch nicht. Ich muss jetzt nach Hause, würde mich aber freuen, wenn wir uns Wiedersehen.«
    Gabi zündete sich die letzte Zigarette des Abends an. Sie hatte eine komplette Schachtel aufgeraucht.
    »Ja, das würde mich auch freuen.«
    »Toll«, sagte sie mit einem extra gummibärchensüßen Lächeln. »Dann schreib ich dir meine Nummer auf, und du kannst mich anrufen, wenn du Lust hast, dann können wir was ausmachen.«
Gabi nahm Richards Bierdeckel und schrieb ihre Handynummer darauf. Dahinter malte sie einen Smiley.
    Sie schmatzte ihm einen Kuss auf seine Wange, verabschiedete sich und entschwand mit ihrer Malerrolle aus der Festhalle.
    Richard blieb auf dem Barhocker sitzen. Er musste erstmal verdauen, was die letzten fünf Stunden passiert war. Mit ihm passiert war.
     

Klimawandel
     
    Richard arbeitete bei Karl Mayer – In- und Export. In den Himmel. Die genaue Firmenbezeichnung war Karl Mayer Bestattungen – Wir sind immer für Sie da.
    Dem konnte Richard nur zustimmen. Karl Mayer senior und auch schon Karl Mayer junior waren immer für alle da. Erst für die Hinterbliebenen, dann für die Toten. Denn der Tot bringt richtig Kohle in die Kasse. In seinem ersten Jahr hatte Richard schon fast die ganze Bandbreite des Sterbens durchlaufen. Ein Knochenjob, im wahrsten Sinne.
    Wenn ihn die Leichen nicht immer so deprimiert hätten, hätte er vielleicht sogar selbst ein Institut eröffnet. Bei sechzig Prozent und mehr Gewinnspanne kann man vom Tot der Anderen wahrlich gut leben.
    Richard kam sich manchmal total abgedreht vor, er hatte das Gefühl, dass die Verstorbenen ihm näher waren, als die Lebenden. Sie strahlten solche Ruhe und Frieden aus. Etwas, was er schon im Leben wollte, Ruhe und Frieden, daher waren ihm manche Leichen sehr sympathisch. Und er dachte zu hören, dass sie mit ihm so hin und wieder einen kleinen Plausch hielten.
    Richard war nicht total gaga. Er könnte Geschichten erzählen, da wackeln einem die Ohren vor Staunen. Auch nach dem Tod kann noch mal richtig die Post abgehen.
    Klar, dachte Richard, Würmer krallen sich unser Fleisch, oder das Feuer lässt uns auf Erbsengröße schrumpfen, aber die Seele hat weiter richtig Spaß im Universum.
    Richards Eltern, Maria und Gustav Römer, fragten sich immer wieder, wie ihr Sohn das nur schaffte mit den Toten. Sein Vater, der schon Jahrzehnte den Beruf des KFZ-Meisters bei ein und den selbem Betrieb lebte , konnte ihn nicht verstehen, denn er mochte den Tot nicht besonders. Seine Mutter, Kassiererin in einem Supermarkt mit der Möglichkeit zur Filialleitung, war stolz auf ihren Sohn.
    »Richard hat ein Händchen für den Tod«, sagte sie gern zu ihren Freundinnen beim Häkel- und Kaffeekränzchen.
    Bei diesem Satz wurde Richard immer stutzig. Was wollte seine Mutter damit wohl mitteilen? Das in seiner Nähe alle Sterben? Das er gar die rechte Hand des Todes war?
    Diese Gedankenspiele brachten ihn aber auf eine Idee, die er dem Juniorchef vor zwei Monaten vorschlug.
    » Karl Mayer Bestattungen muss ins Internet«, sagte Richard. »Man müsse den Tod modern präsentieren, genauso wie seine Firma. Einen Domainnamen hätte er auch schon gefunden«, sagte er, »www.sterben-ohne-ende.de. Damit konnte seine Firma gleich eine feste Aussage treffen, dass mit dem Tod noch lange nicht alles vorbei ist. Davon bin ich ja schon lange überzeugt«, schloss er.
    Mayer junior war skeptisch über Richards Vorschlag, ließ ihn aber ein Konzept für die Seite erstellen. Dazu recherchierte Richard im Netz und machte alles besser als die Konkurrenz. Mayer junior gefiel es dann tatsächlich, Mayer senior nicht, aber der Junior setzte sich durch. Und von da an war sterben-ohne-ende.de online. Und brachte vom ersten Tag an zusätzlichen Umsatz für Karl Mayer Bestattungen – Wir sind immer für Sie da .
    Für heute ließ Richard die Leichen wieder hinter sich.
    Richard wohnte in der Nähe des Münchner Ostfriedhofes, nur zwei Straßen von seiner Arbeitsstelle entfernt. Seine Wohnung befand sich in einem Mietshaus in der Winterstraße. Ein Altbau, in dem derzeit neun Parteien lebten. Ein Elternpaar
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