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Pechvogel: Roman (German Edition)

Pechvogel: Roman (German Edition)

Titel: Pechvogel: Roman (German Edition)
Autoren: S. G. Browne
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oder zumindest ein »Auf Wiedersehen«.
    Ich renne zur Kante hinüber und blicke hinab. Im fahlen Licht, das durch die Hotelfenster nach draußen fällt, sehe ich etwa zwanzig Stockwerke tiefer Tommys Körper auf einem Vordach des Drake liegen. Er bewegt sich nicht mehr.
    Ich habe noch nie jemanden getötet. Zumindest nicht absichtlich. Aber wenn das Pech, das ich vor drei Jahren gewildert habe, verantwortlich für einen Todesfall in Tucson war, dann ist Tommy meine Nummer zwei. Nummer vier, wenn man die beiden Schläger unten mitzählt.
    Was bin ich doch für ein fleißiges Kerlchen.
    Trotzdem bin ich mir nicht sicher, wie ich mich in Bezug auf Tommys Tod fühle. Erleichtert trifft es erst einmal ganz gut. Natürlich brauche ich zunächst einen Moment, um zu verarbeiten, was gerade geschehen ist. Gewissensbisse verspüre ich jedoch keine dabei, auch wenn ich sicher nicht vorhabe, diesen Karriereweg weiterzuverfolgen. Profimörder zu sein ist nichts für mich. Sagen wir es einfach so: Ich vergieße keine Tränen.
    Und außerdem sollte mir die ganze Sache hier fortan zumindest Barry Manilow vom Hals halten.
    Ich gönne Tommy einen letzten Blick, um sicherzugehen, dass er noch immer tot ist, und gehe dann los, um nach Doug zu sehen.
    Er liegt mit geschlossenen Augen flach auf dem Rücken, die Arme und Beine weit vom Körper gestreckt wie bei so einem rituellen Opfer. Das Einzige, das noch fehlt, ist Blut. Ich sehe nämlich keines. Nicht auf seiner Brust, nicht auf dem Dach, nirgendwo. Also beuge ich mich über ihn, prüfe seinen Puls und stelle fest, dass er noch lebt.
    Vielleicht ist er überhaupt nicht angeschossen worden. Vielleicht hat Tommy ihn ja verfehlt, oder Doug ist einfach vor Schreck ohnmächtig geworden. Doch dann fällt mir das gut einen Zentimeter dicke Medaillon mit dem aufgesetzten Schriftzug BW auf, das um Dougs Hals hängt, und ich bemerke das Loch genau in dessen Mitte.
    »Doug.« Ich schüttle ihn sanft. »Doug, wach auf. Doug.«
    Er schlägt die Augen auf und atmet tief ein. Dann blinzelt er ein paarmal, grinst, schaut mich an und sagt: »Es heißt Bow Wow, Holmes.«
    Ich helfe ihm, sich aufzusetzen, und er holt noch einmal tief Luft, woraufhin ihm ein »Autsch« entfährt. Mit beiden Händen tastet er seinen Oberkörper ab und sieht mich an.
    »Ist auf mich geschossen worden?«
    Ich nicke. »Ich glaube, dein Klunker hat dich gerettet.«
    Er blickt an sich herab, hebt das Medaillon hoch und steckt seinen Finger durch das Loch darin. Dann betrachtet er sein Trikot der New York Jets und tut das Gleiche mit dem Loch darin, ehe er das Shirt anhebt. Auf seiner Brust prangt ein großer Bluterguss, in dessen Mitte die Kugel halb in seinem Fleisch stecken geblieben ist. Eine dünne Blutspur zieht sich bis zu seinem Bauchnabel herunter. Zu beiden Seiten der Kugel hängen die Hälften des nun zerbrochenen Messingrings, den ihm, das weiß ich genau, einst sein Vater geschenkt hat.
    Doug hebt den Blick. »Ich habe dir doch gesagt, dass es ein Glücksbringer ist, Holmes.«
    Ich muss zugeben, dass ich keinerlei Erklärung für das habe, was hier passiert ist. Nachdem ich Dougs Glück gewildert habe, hätte er nicht in der Lage sein sollen, einen Verkehrsunfall zu überleben. Und angeschossen zu werden schon gar nicht. Glücksbringer hin oder her – er sollte eigentlich tot sein. Aber wie ich bereits gesagt habe: Es gibt keinen Zufall.
    Ich denke über Dougs Aberglauben nach und daran, wie er ihn ständig mit sich herumträgt. Wie er wirklich daran glaubt. Wie er alles Gute, das ihm widerfährt, seinen Glücksbringern und den Dingen zuschreibt, die er unternimmt, um Pech zu vermeiden. Vielleicht gibt es ja mehr Glücksbringer, als ich immer gedacht habe. Vielleicht schützen sie tatsächlich irgendwie vor irgendetwas oder ziehen Glück an. Vielleicht saugen Talismane oder Glücksbringer sich ja, wenn sie von einer mit Glück geborenen Person getragen werden, mit genau diesem Glück voll.
    Saugen es auf wie ein Schwamm.
    Oder vielleicht hat der Glücksbringer selbst überhaupt keine Bedeutung. Vielleicht ist das Entscheidende die Person, die ihn bei sich trägt. Vielleicht geht es eher um die Qualität der Person als um die Qualität des Glücks.
    Wenn es möglich ist, dass ein Glückswilderer sein ganzes Leben lang mit Glück handelt und trotzdem am Ende süchtig oder pleite oder ohne Freunde dasteht, dann kann es ja vielleicht auch sein, dass jemandem, der ohne Glück geboren wurde oder dessen Glück
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