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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Autoren: Jan Beinßen
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Mauer stellte er sein Rad ab, nahm die Fototasche vom Gepäckträger und ging geradewegs auf einen abweisend blickenden Polizeibeamten zu, der sich vor einer ebenfalls in Weiß gehaltenen, massiven Holzpforte postiert hatte.
    »Presse«, nuschelte Paul und wollte sich an dem Beamten vorbeizwängen.
    »Halt«, sagte dieser barsch, »Ihren Presseausweis!«
    »Ich bin der Fotograf von Herrn Blohfeld«, sagte Paul mit gewisser Ungeduld.
    Der Polizist rührte sich nicht vom Fleck. Doch dann erhellte sich seine Miene. Er musterte Paul mit unverhohlener Neugierde und sagte: »Wissen Sie, dass Sie diesem Schauspieler ähnlich sehen? Diesem Hollywoodschauspieler? Diesem …«
    »Ja, ja«, tat Paul das Gehörte ab. »Darf ich jetzt bitte vorbei?«
    »Meine Frau schaut sich jeden Film mit ihm an«, redete der Polizist weiter. »Sie schwärmt für ihn. Richtig eifersüchtig könnte man werden.«
    »Mein lieber Herr: Ich kann Ihnen versichern, dass ich mit George Clooney weder verwandt noch verschwägert bin.« Paul bemühte sich, bewusst anders zu lächeln als sein Double aus Hollywood. »Lassen Sie mich also passieren?«
    Der Beamte trat beiseite. »Diese Ähnlichkeit: erstaunlich.«
    Paul betrat einen Garten, der eher die Bezeichnung Park verdient hätte. Ein geschwungener Weg aus weißen Kieseln wurde gesäumt von einem Rasen in Golfplatzqualität. Stattliche Laubbäume mit imponierenden Kronen spendeten Schatten. Sein Blick aber wurde von der Wiesinger-Villa in der Mitte des Anwesens angezogen: ein riesiger, strahlend weißer Bau mit einem von Säulen flankierten Portal und turmartigen Rundbauten an den Seiten. Ein Märchenschloss, kam es Paul spontan in den Sinn, und zwar ein ziemlich kitschiges.
    Die Wiesingers. In Nürnberg kannte jeder den größten Bratwurstproduzenten der Stadt. Die Familie war eigentlich zugereist und hatte sich mit Ehrgeiz und Ellenbogen einen Platz im von jeher engen Nürnberger Bratwurstmarkt erkämpft. An Wiesinger-Würstchen kam heutzutage kaum jemand vorbei – egal, ob als Betreiber eines Bratwurststandes oder als Disponent einer Supermarktkette. Die Wiesinger-Villa war ein eindrucksvolles Symbol ihrer Dominanz, dachte Paul.
    »Hallo«, sagte er halb erstaunt, halb erfreut, als er anstelle des Polizeireporters Blohfeld Katinka Blohm in elegantem hellem Hosenanzug auf der Veranda der Villa erblickte. Ihr langes blondes Haar fiel ihr ungezwungen über die zierlichen Schultern, ihre blassblauen Augen musterten ihn freundlich. Paul war erleichtert über den freundlichen Empfang, denn er kannte die Staatsanwältin auch anders.
    »Seit wann rauchst du?«
    Katinka Blohm sah Paul zunächst fragend an, dann blickte sie auf die halb gerauchte Zigarette in ihrer Rechten und schnippte sie ins Gebüsch. »Der Stress, mein Lieber«, sagte sie. Sie drückte ihm zur Begrüßung einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Du weißt ja, wer der Tote ist.«
    Paul nickte. »Hans-Paul Wiesinger, nehme ich an, wenn ich den ganzen Polizeifuhrpark hier sehe.« Er beobachtete Katinkas Reaktionen genau, als er weitersprach. »Blohfeld hat mir am Handy nicht viel erzählt, aber mir ist klar, dass er ein leuchtender Stern in Nürnbergs High Society war.«
    Katinka stimmte zu, und Paul bemerkte einige feine Sorgenfältchen, die sich um ihre Augen bildeten. »Offenbar habe ich es immer wieder mit prominenten Mordopfern zu tun«, klagte sie in Anspielung auf einen früheren Fall. »Wiesinger ist«, sie korrigierte sich, »war nicht nur einer der größten Rostbratwurstproduzenten, sondern auch politisch engagiert.«
    »Allerdings.«
    »Er war einer der wichtigsten und vor allem legalen Spendengeber und Wahlkampfhelfer für die Partei. Auch den Heimatbund soll er stark gefördert haben. Man wird ihn dort vermissen.« Katinka nestelte an ihrem Jackett, wohl auf der Suche nach einer neuen Zigarette. »Geh nur rein. Die Spurensicherung ist beinahe durch, und dein Freund Blohfeld scharrt sicher schon ungeduldig mit den Hufen.«

3
    Das Innere der Villa unterschied sich stilistisch kaum von ihrem äußeren Eindruck. Das Foyer war weiß und riesig, und die verarbeiteten Materialien waren erlesen. Paul wollte nicht wissen, was allein die kindshohen Vasen gekostet hatten, die den unteren Absatz einer gewaltigen marmornen Treppe ins obere Stockwerk zierten.
    Paul näherte sich einer angelehnten Tür am Ende der Empfangshalle, die von ihren Dimensionen eher an ein Kirchenschiff erinnerte. Die Tür war einen Spaltbreit geöffnet, und
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