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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Autoren: Jan Beinßen
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entgegnete Katinka.
    »Schönberger ist noch immer im Krankenhaus und wird dann im Gefängnis für seine Taten büßen. Deine Kollegen haben ganze Arbeit geleistet und wollen ihn bis an sein Lebensende wegsperren. Was verlangst du mehr?«
    »Nichts«, sagte Katinka versöhnlich. Sie rutschte ein Stück vor, so dass ihre Knie die von Paul berührten. »Ich habe eine kleine Überraschung für dich.«
    »So?«, fragte Paul verblüfft und suchte in Katinkas Händen vergebens nach einem Päckchen.
    »Es ist kein materielles Geschenk«, fügte Katinka schnell hinzu. »Aber ich weiß ja, dass du dich brennend für die Frage interessierst, warum Nürnberger Würstchen so kurz sind, wie sie sind.«
    Paul nickte erwartungsvoll. Was hatte sich Katinka bloß wieder einfallen lassen?
    Katinka verringerte die Distanz zu ihm um ein weiteres Stück. »Ich werde dir ein Geheimnis verraten.« Ihr Mund berührte fast sein Ohr, als sie flüsterte: »Meine Kollegen haben im Safe von Wiesinger nicht nur jede Menge belastendes Material sowie das Rezept seiner Wurstkräutermischung gefunden, sondern auch zwei äußerst aufschlussreiche Dokumente.«
    »Und die wären?«, fragte Paul gespannt.
    »Zum einen ein zeitgenössisches Faksimile der 1313 erstmals urkundlich erwähnten Anleitung zur handwerklichen Herstellung der Nürnberger Rostbratwurst samt Produktionsrichtlinien, Garküchenverzeichnis und einer Liste aller zur Fleischlieferung zugelassenen Schweinezüchter.«
    Pauls Neugierde wurde größer. »Und das zweite Dokument?«, fragte er wissbegierig.
    »Eine Art Bulle«, sagte Katinka geheimnisvoll.
    »Bulle? Was soll ich mir darunter vorstellen?«
    »Ein sehr altes, gerolltes Pergament.«
    »Was steht darauf?«
    »Der Text ist in lateinischer Sprache verfasst, aber wir haben ihn übersetzen lassen.«
    »Mach es nicht so spannend.«
    »Es handelt sich um eine Anleitung, einen Versorgungsplan.«
    »Versorgungsplan für wen?«, fragte Paul voller Ungeduld.
    »Für Pilger.«
    »Pilger?«
    Katinka nickte. »Es ging dem Verfasser des Textes darum, auf möglichst Ressourcen sparende Art und Weise künftige Pilgerströme abzuspeisen. Der Autor drängte vorbeugend auf Rationierung und schlug vor, das Gewicht des Hauptnahrungsmittels streng zu reglementieren.«
    »Lass mich raten«, sagte Paul. »Bei dem Nahrungsmittel handelt es sich um die Nürnberger Rostbratwurst.«
    »Ja«, sagte Katinka lächelnd. »Zumindest um eine Vorgängerin von ihr.«
    »Und bei dem Verfasser des Textes handelt es sich …«
    »… um niemand Geringeren als den Stadtheiligen St. Sebald persönlich«, führte Katinkas Pauls Satz zu Ende.
    »Er hat also geahnt, dass er nach seinem Tod Pilgerströme auslösen würde, und wollte, dass die Bürger seiner Stadt davon profitierten.« Paul sah sie verblüfft an. »Das würde bedeuten, dass Sebaldus tatsächlich ein weiteres Wunder vollbracht hat.«
    »Das Würstchen-Wunder«, folgerte Katinka weihevoll. »Sebaldus hat seiner Stadt die Anleitung für eine wirtschaftlich sichere Zukunft mit auf den Weg gegeben.«
    Paul war mehr als angetan von dieser Vorstellung. »Ist die Bulle denn authentisch?«, wollte er wissen.
    »Wir werden das prüfen lassen«, sagte Katinka, »doch selbst wenn nicht, sind wir um eine sehr unterhaltsame Legende über die Entstehung der Original Nürnberger Rostbratwurst reicher geworden.«
    Paul zwinkerte ihr zustimmend zu.
    Die Gondel musste wenden, denn in Höhe des vor ihnen aufragenden Schuldturms befand sich ein Wehr, das nicht befahrbar war. Paul ließ seine Beine unbewegt und tolerierte Katinkas Berührung. Als Paul darüber nachdachte, gestand er sich ein, dass er die Berührung lange herbeigesehnt hatte.
    »Hast du eigentlich eine Vorstellung von dem, was verliebte Paare in venezianischen Gondeln normalerweise tun?«, fragte Katinka.
    Paul sah sie, in seinen Gedanken ertappt, verwirrt an.
    Katinka wartete einige Augenblicke ab. »Ich habe Ihnen soeben eine zweite Chance gegeben, Herr Fotograf«, sagte sie schließlich.
    Da Paul noch immer nicht reagierte, ergriff Katinka abermals die Initiative. Sie bekam Paul mit ihrer Rechten im Nacken zu fassen und zog ihn zu sich heran.
    Ihre Lippen waren nur Millimeter voneinander entfernt, als die Gondel die Museumsbrücke passierte. Paul schloss die Augen. Er war entspannt und glücklich zugleich. Alles deutete auf ein rundum harmonisches Ende hin.
    Die Berührung, die folgte, war kalt und klebrig. Paul schreckte zurück und ertastete ungläubig eine
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