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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Autoren: Jan Beinßen
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dessen Suche mancher Abenteurer verschollen sein sollte. Von sagenhaften Reichtümern war die Rede gewesen, aber eben auch von Fallen, heimtückischen Mechanismen, die einem den Weg abschnitten, und unendlich vielen Gassen, die im Nichts endeten.
    Wieder zerbarsten feinste Steine unter Pauls Schuhsohlen. Er passierte eine Kreuzung, die er eigentlich von seinem Hinweg her in Erinnerung hätte haben müssen, die ihm allerdings gänzlich unbekannt vorkam. Von wo war er gekommen?
    Ihm fiel eine andere, häufig erzählte Mär ein: Der Legende nach gab es eine Verbindung zwischen dem Tiergärtnertorplatz in Nürnberg und der Alten Veste in Zirndorf weit vor den Stadttoren Nürnbergs. Während dort Wallenstein 1632 die Stellung gegen die anrückenden Schweden hielt, soll deren König Gustav Adolf den Bau eines Schachts befohlen haben, um seine Gegner im Zirndorfer Feldlager aus dem Untergrund überrumpeln zu können. Na ja, dachte Paul, eine nicht gerade wahrscheinliche Theorie, zumal sich der Schwedenkönig dafür nacheinander unter zwei Flussläufen, der Pegnitz und der Rednitz, hätte hindurchbuddeln müssen. Aber jetzt, hier in dieser kalten, Angst einflößenden Atmosphäre, begann Paul Verständnis für die alten Legenden zu entwickeln. Und dafür, dass die Stadt ein gesteigertes Interesse daran hatte, endlich eine lückenlose Bilddokumentation dieser teilweise unerforschten Unterwelt zu bekommen.
    Nach der nächsten Kurve spürte Paul Hoffnung in sich aufkeimen. Ein Luftzug kündigte einen nahen Ausgang an, und er erkannte einen schwachen Lichtschein. Nach ein paar weiteren Schritten bestand kein Zweifel mehr: Paul hatte den erschlossenen Teil der Felsenkeller erreicht. Er beschleunigte seinen Gang. Nackte Glühbirnen an weit durchhängenden Elektrokabeln hießen ihn in der Welt der Zivilisation willkommen – und offengestanden war er mehr als erleichtert darüber.
    Je näher er dem Ausgang kam, desto angenehmer stieg die Temperatur und damit sein Wohlfühlbarometer. Er öffnete die wuchtige Stahltür und kniff die Augen zusammen. Gleißendes Licht empfing ihn außerhalb der Felsenkeller. Ihm war augenblicklich wohlig warm zumute. Mit dem zwiespältigen Gefühl, gerade noch einmal davongekommen zu sein, schloss er hinter sich zwei Mal ab. Dann steckte er den Schlüssel in seine Hosentasche, und dort sollte er bleiben, bis er mit besserer Vorbereitung und Ausrüstung zurückkommen würde.
    Paul hatte sein Fahrrad auf dem Albrecht-Dürer-Platz direkt neben dem bronzenen Denkmal abgestellt. Noch immer ein bisschen durcheinander ging er auf den hoch aufragenden Maler zu, zwinkerte in den grellen Himmel und genoss die Wärme der Julisonne.
    Sein Handy hörte er im ersten Moment fast nicht, und als er es bemerkte, brauchte er einige Zeit, bis er es aus seiner Fototasche geangelt hatte.
    »Blohfeld hier«, meldete sich der Anrufer mit vorwurfsvollem Unterton.
    »Schönen guten Morgen«, sagte Paul bemüht freundlich, wobei es ihn wurmte, dass der Polizeireporter des Nürnberger Boulevardblatts stets so unhöflich sein musste und auf jegliche Begrüßungsfloskel verzichtete.
    »Von wegen schöner Morgen!«, blaffte der Reporter ihn an. »Ich versuche seit Ewigkeiten, Sie zu erreichen!«
    »Tut mir leid«, heuchelte Paul. »Ich war vorübergehend abgetaucht und hatte keinen Empfang.«
    »Keinen Empfang?«, fragte Blohfeld ungläubig. »Wie dem auch sei. Es gibt Arbeit für Sie.«
    »Ich habe genug Arbeit«, sagte Paul, der sich nach seinem Ausflug in den feuchten Untergrund eigentlich auf ein deftiges Frühstück auf der sonnenverwöhnten Terrasse der Studentenkneipe Ruhestörung an der Tetzelgasse freute.
    Doch dem Reporter schien Pauls Wohlbefinden reichlich egal zu sein. »Schnappen Sie sich Ihren Knipsapparat und kommen Sie in die Wiesinger-Villa nach Erlenstegen«, sagte er energisch, »und zwar flott, ehe die Polizei die Leiche abtransportieren lässt.«

2
    Paul musste ordentlich in die Pedale treten, als er in Höhe der alten Eisenbahnbrücke von der Erlenstegener Straße abbog und sich die Günthersbühler Straße hinaufquälte. Auch wenn er gut in Form war, spürte er nach der hinter ihm liegenden Fahrt durch die halbe Stadt nicht nur die Hitze, sondern – zugegeben – auch sein Alter.
    Er strampelte tapfer weiter und bog kurz darauf in eine schmale Seitenstraße ein. Die vielen Streifenwagen und Zivilfahrzeuge der Polizei markierten besser als jedes Hinweisschild sein Ziel. Vor einer weiß gekalkten, mannshohen
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